Die letzte Eskorte: Roman
verbliebenen Matrosen. Ein Raunen ging durch die Menge, und wie auf ein geheimes Zeichen hin zogen sich die Männer Schritt um Schritt weiter zur Heckreling zurück.
»Cole«, wandte sich Hayden an den stellvertretenden Kommandanten, »wir sollten die Männer in den Kreuzmast schicken.«
Cole nickte mit verkniffenem Mund und beugte sich zu Hayden. »Werden die Boote rechtzeitig zurück sein?«
»Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben«, antwortete Hayden, »um der Männer willen.« Er sagte dies mit Zuversicht, doch die ganze Szene erschien ihm wie eine dunkle Traumvision. Die Männer drängten sich an der Reling des sinkenden Schiffes und waren dem Sturm und den Gischtwellen der aufgewühlten See ausgeliefert. Hayden fühlte sich schwindlig und hoffte, aus diesem bösen Traum zu erwachen.
Derweil wandte sich Cole an die Mannschaft und sprach mit kaum zittriger Stimme: »Wir werden am Kreuzmast aufentern, Männer. Einer nach dem anderen, kein Grund zu übertriebener Hast. Laughlin, Sie gehen mit einem Dutzend Ihrer Leute voran. Verteilt euch auf den Rahen und macht den anderen Platz.«
Hayden versuchte die Zahl der Männer abzuschätzen – ein genaues Abzählen war in dieser Dunkelheit nicht möglich – und kam zu dem Schluss, dass noch etwa sechzig Matrosen und weniger als ein Dutzend Offiziere und Deckoffiziere an Bord waren. Er hatte gehofft, es wären schon weniger. Die Männer kletterten beidseits des Quarterdecks in die Wanten, und Hayden war beeindruckt von ihrem Mut. Denn soweit er es beurteilen konnte, enterten sie schnell auf, ohne sich gegenseitig zu behindern oder gar wegzudrücken. Bradley hatte eine gut ausgebildete Crew, so viel stand für Hayden fest.
Cole und Hayden kamen zuletzt. Jeder trug eine Laterne und zog sich etwas unbeholfen hoch. Eine kleine Kassette mit den Schiffspapieren wurde nach oben weitergereicht, von Mann zu Mann. Der Schiffszimmermann hatte sogar die Geistesgegenwart, Äxte nach oben zu befördern, für den Fall, dass die Rahen gekappt werden mussten. Denn die Männer brauchten etwas, woran sie sich festhalten konnten, während sie in der kalten See trieben.
Im schwachen Mondlicht und dem unsteten Schein der blakenden, rußverschmierten Laternen konnte Hayden sehen, wie das Deck unter ihnen überspült wurde. Das Schiff neigte sich weiter und zwang die Männer, sich an die Rahen oder den Mast zu klammern. Keiner der Seeleute sagte ein Wort, ein jeder suchte Halt am Rigg. Die Kräftigeren halfen den Schwächeren und zogen sie zurück, wenn sie abrutschten oder den Halt zu verlieren drohten. Cole warf einen unsicheren Blick auf Hayden.
»Sir ...«, hörte man einen der Männer, »... ist das dort ein Schiff?«
Hoffnung keimte bei den Männern auf, ein aufgeregtes Wispern lief von Mund zu Mund.
Hayden kletterte bis zum nächsten Fangtau und schaute über den Kopf eines Matrosen hinweg. Und tatsächlich, dort im Mondlicht entdeckte er die dunklen Umrisse eines Schiffsrumpfs und einiger Segel. Die Laternen am Heck sandten ihr rötliches Glühen in die Nacht.
»Die französische Fregatte«, murmelte ein anderer Mann, und Hayden stimmte ihm im Stillen zu.
Jetzt kam Bewegung in die Männer. Manch einer duckte sich, als suchte er Schutz vor feindlichem Musketenbeschuss oder einer ganzen Breitseite, doch Cole wie auch Hayden versicherten den Männern mit erhobener Stimme, dass der französische Kommandant nicht feuern würde. Nicht auf Männer, so glaubte Hayden, die ohnehin ihr Ende vor Augen hatten ...
Augenblicke später konnte Hayden Männer an der Reling erkennen, als das Schiff wie ein geisterhafter Schatten vorbeiglitt. Stumm starrten die Franzosen auf das sinkende Schiff, auf ihren Gesichtern eine Mischung aus Schrecken und Faszination. Wie viele von ihnen hatten schon gut sechs Dutzend Mann gesehen, die sich an die Takelage eines Mastes klammerten, der aus dem Meer in die Höhe ragte? Und bei jeder neuen Welle sanken sie alle ein Stück weiter hinab.
»Kommen die uns denn nicht zu Hilfe?«, rief jemand in wehklagendem Ton.
»Nein«, antwortete ein alter Seemann, dessen Stimme bereits von purer Resignation gekennzeichnet war. »Die retten erst ihre eigenen Leute, und das sind nicht wenige.«
Luft entwich hörbar aus dem sinkenden Schiff, und nur noch die letzten zehn Yards des Hecks blieben trocken, doch der Fuß des Kreuzmasts war bereits umspült. Während die Luft nun aus dem Rumpf brodelte, versank das Schiff immer rascher. Die Männer stiegen derweil höher
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