Die letzte Fahrt des Tramp Steamer
Offizier in seiner makellosen, frisch gebügelten Uniform schon von den vorgeblichen, geheimen Heldentaten des ehrwürdigen Tramp Steamer wissen, meiner geliebten Alción, Patriarch aller Meere, Sieger über Taifune und sonstige Unwetter, dessen Taue in sämtlichen Sprachen der Erde in verlorenen Abenteuerhäfen angebunden worden waren? Er fuhr an uns vorbei, langsam, mit etwas Schlagseite – offensichtlich war das kein Problem der Ladung, sondern seiner Bauweise, die jedem seine Widerstandskraft überschreitenden Druck nachgab – und jetzt mit einem leichten Zittern, das wie ein geheimes Fieber oder eine nicht mehr zu verbergende, äußerste Schwäche über das ganze Schiff lief. »Bei halber Kraft kontrollieren die Maschinen die Drehzahl der Schrauben nicht mehr«, erklärte der Seemann wie als Antwort auf eine Frage, die ich mir in diesem Moment stellte. Wieder zeigte der Bug seinen Unterleib, und hinten dieselbe Flagge, die herunterhing wie das Tuch eines Schiffbrüchigen. Endlich war der ganze Name angemalt worden. Er lautete tatsächlich Alción. Eigentlich war es gar nicht so schwierig gewesen, ihn zu erraten, denn aufgrund der Position der noch leserlichen Buchstaben blieb vorn nur für eine einzige Silbe Raum.
Auf vollen Touren fuhr das Küstenwachschiff in die Fahrrinne ein und nahm mit flinkem, effizientem Lauf seiner Schrauben Kurs auf Trinidad. Es lag etwas Unverschämtes, ein fast unerträglicher Hochmut in diesem leichten, flinken Manöver. Natürlich sagte ich nichts. Was können die Leute schon von solchen Dingen wissen – vor allem diese geschniegelten Kanzleibeamten, verbraucht in der Monotonie der Empfänge, der Stumpfheit der Botschaftslunches und den Intrigen eines ebenso albernen wie sinnlosen Protokolls? Ich ging in meine Kajüte hinunter, weil ich lieber etwas schlafen wollte, bevor man zum Mittagessen rief. Ich spürte einen Druck auf der Brust, eine namenlose Beklemmung ohne offensichtlichen Grund, eine ebenfalls nicht zu benennende unheilvolle Vorahnung. Das Bild der in die Deltamäander einfahrenden Alción begleitete mich im Schlaf mit einer Genauigkeit, die etwas zu besagen hatte. Ich wollte sie lieber nicht enträtseln. Plötzlich weckte mich die Essensglocke. Ich wusste nicht, wo ich mich befand noch wie spät es war. Unter der Dusche, aus der lauwarmes, leicht schlammiges Wasser floss, gelang es mir, die paar Gedanken zu sammeln, die ich brauchte, um mit meinen Reisegefährten plaudern zu können.
U nd so endeten meine Begegnungen mit dem Tramp Steamer. Die Erinnerung an ihn wurde Teil der knappen Sammlung obsessiver Bilder, die sich mit den ›mineralischsten und hartnäckigsten‹ Wesenheiten meines Seins vermischen. In immer längeren Abständen erscheint er mir in den Träumen, aber ich weiß ganz genau, vollständig wird er nie verschwinden. Im Wachzustand erinnere ich mich an ihn, wenn sich bestimmte Umstände, irgendeine ungewöhnliche Ordnung in der Wirklichkeit einstellen, die seinem seltenen, aber regelmäßigen Erscheinen gleichen. Je mehr Zeit vergeht, desto tiefer und geheimer ist der Winkel, wo sich diese Bilder verstecken. So arbeitet das Vergessen: Während unsere Angelegenheiten zuerst ganz uns gehören, werden sie durch die mimetische, täuschende, beharrliche Kraft der nicht greifbaren Gegenwart allmählich fremd. Wenn eines dieser Bilder mit seinem ganzen gefräßigen Vorsatz zu überleben wiederkehrt, stellt sich das ein, was die Gelehrten als Epiphanie bezeichnen. Eine Erfahrung, die zerstörend sein oder uns auch einfach in bestimmten zum Weiterleben recht nützlichen Gewissheiten bestätigen kann. Ich sagte, ich hätte den Tramp Steamer nie mehr gesehen; als ich jedoch wieder von ihm hörte, lernte ich seine Geschichte in ihrem ganzen verheerenden Umfang kennen. Nur selten gestehen uns die Götter zu, dass die Schleier zurückgezogen werden, die bestimmte Bereiche der Vergangenheit verhüllen – vielleicht weil wir nicht immer darauf vorbereitet sind. Mir ist nicht bekannt, wie glücklich die sein mögen, die ›höhere Orakel als ihre Trauer‹ befragen.
Monate nach meinem Besuch der Orinoko-Mündung musste ich mich für lange Zeit in der Raffinerie am Ufer des großen schiffbaren Flusses aufhalten, der weite Teile meines Landes durchzieht. Ein langer, erbitterter Gewerkschaftskonflikt zwang mich, mehrere Monate dort zu bleiben, plumpe Gewerkschaftsdiplomatie zu betreiben, in Rundfunk und Tageszeitungen der Gegend dem Publikum
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