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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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aßen zusammen. Er war ein typischer Baske und zeigte die distanzierte Würde, die mich an diesem Volk immer angezogen hatte. Doch außer dieser Tugend bemerkte man an ihm noch einen Bereich, den er mit plötzlicher Eifersucht vor fremden Einfällen schützte. Er vermittelte den Eindruck, als wäre er an einem Ort wie Dantes neun Höllenkreisen gewesen, aber statt mit körperlicher mit einer besonders schmerzhaften Art seelischer Folter. Bei dieser ersten Begegnung fanden wir genügend gemeinsame Interessen und Erinnerungen, um vorauszusehen, dass die uns erwartende Reise angenehm ausfallen würde. »In Ainhoa«, erzählte ich ihm, »ging mir einmal ein Mietwagen kaputt, mit dem ich von Fuenterrabía nach Bordeaux fuhr. So musste ich dort in einem Hotel übernachten, dessen Name sich mir eingeprägt hat, ohne dass ich weiß, weshalb: Hotel ›Ohantzea‹.« – »Es gehörte vor vielen Jahren Vettern meines Vaters«, erklärte er mir. Manchmal schafft ein solches Detail eine umfassende Herzlichkeit, ohne dass wir die Gründe dafür recht kennen. So sehr erstaunlich ist das jedoch nicht. Eine Landschaft oder einen Ort unserer Kindheit zu teilen, und sei es auch nur flüchtig, lässt in uns ein Familiengefühl aufkommen. Und natürlich ist das noch ausgeprägter bei Leuten, die ohne Stützpunkt oder festen Wohnsitz durch die Welt ziehen. Das war bei uns der Fall: er in seiner Eigenschaft als Seemann und ich, weil ich so oft das Land gewechselt hatte, immer aus Gründen, die nichts mit meinen Wünschen zu tun hatten.
    Drei Tage später traf der Schlepper ein. Ich ging abends an Bord. Die Kolonne der Flöße, die zum Meerhafen hinunterfahren mussten, war schon bereit. Iturri sah ich nicht, als ich die Kajüte bezog. Ich brachte meine Dinge in Ordnung und ging auf Deck, um mich in einen der Segeltuchstühle zu legen, die dort immer für die Fahrgäste bereitstehen. Wenn ich Deck sage, benütze ich eine rhetorische Figur. Das kleine Rechteck von vier auf drei Meter auf dem Dach des Steuerhauses verdiente keine so großzügige Bezeichnung. Man stieg über eine Trittleiter empor, und das Plätzchen war eingezäunt von einem in den Farben der Gesellschaft gestrichenen Metallgeländer – Rot, Weiß und Blau. Der Witz über die französische Flagge war ein obligater Einfall, dem niemand mehr Beachtung schenkte. Es gibt keine vergleichbare Aussicht auf den Fluss und seine Ufer wie von der Höhe dieses privilegierten Ausgucks aus. Ich legte mich in einen Stuhl, um die Abfahrt in allen Einzelheiten zu genießen. Die Gewandtheit und Koordination, die es erfordert, eine Reihe von Lastkähnen voller Brennstoff durch die Kurven, Biegungen und Mäander des großen Flusses zu schieben, ist mir immer wie eine schwer zu überbietende Großtat vorgekommen. Davon war ich ganz in Anspruch genommen, als ich jemanden die schmale Treppe heraufkommen hörte. Es war Iturri. Ich muss gestehen, ich hatte ihn beinahe vergessen, so sehr schlagen mich die Navigationsmanöver auf dem Fluss stets in Bann. Ohne zu grüßen und so selbstverständlich, als setzte er ein andernorts begonnenes Gespräch fort, bemerkte der Kapitän: »Ich habe nie herausgefunden, weshalb mich diese Manöver auf dem Fluss ein bisschen irritieren. Sie haben etwas von Eisenbahn auf dem Wasser – auf einem Wasser, das einen begleitet oder in der Gegenrichtung hinauffließt. Das ist nicht sehr seriös. Finden Sie nicht auch?« Ich musste gestehen, dass es für mich im Gegenteil etwas war, was meine Neugier, ja meinen Respekt weckte. Zehn bis an den Rand mit entzündlicher Flüssigkeit beladene Lastkähne heil zu befördern, das schien mir eine große Leistung. »Nehmen Sie mich nicht zu ernst«, antwortete der Baske. »Wir Seeleute werden etwas sonderbar. Auf dem Land haben wir immer ein wenig das Gefühl, nur auf der Durchreise zu sein, und wissen nicht recht zu schätzen, was dort geschieht. Ich beispielsweise hasse den Zug. Er gibt mir den Eindruck, es ist zu viel Eisenzeug, zu viel Aufwand und sehr viel Lärm für ein so …, so idiotisches Ergebnis, würde ich sagen.« Ich musste lachen über die umwerfende, etwas brüske, aber unwiderlegbare Ehrlichkeit dieses Seemanns, der unter der langsamen Schwerfälligkeit des Festlandlebens litt. Wir sprachen weiter, und dazwischen gab es immer wieder lange Pausen. Er reiste zum ersten Mal auf einem Schlepper der Gesellschaft. Außerdem arbeitete er nicht für das Unternehmen, sondern war gekommen, um ein Gutachten über zwei

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