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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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Heck trug, für Sie schließlich fast so nahe und obsessiv wie für mich. Nur – in meinem Fall entschwand durch diese Ritze mein Leben. Das Leben, das ich leben wollte, natürlich. Das jetzige ist eine Aufgabe, an der ich nur körperlich beteiligt bin. Nicht, dass ich alles verloren hätte. Ich habe das Einzige verloren, was gegen den Tod um die Wette zu laufen lohnte.«
    In seinen Worten lag eine solche Trostlosigkeit, eine so vollkommene Leere, dass ich naiver Tropf ihm mit einer harmlosen Feststellung helfen wollte: »Ich glaube, so enden wir fast alle, die wir das ziellose Wanderleben gewählt haben.« Wieder schaute er mich an, wie man ein Kind anschaut, das bei Tisch eine nur durch sein Alter zu entschuldigende Bemerkung gemacht hat. »Nein«, korrigierte er mich, »das ist es nicht. Ich spreche von einer bestimmten Art Schiffbruch, bei der alles unwiderruflich untergeht. Nichts bleibt erhalten. Aber das Gedächtnis spinnt unermüdlich weiter, um uns an das verlorene Königreich zu erinnern. Ich denke, wenn Sie der Alción so nahe und ihrem Schicksal so tief verbunden waren, ist es nur natürlich, ja gerecht, dass Sie auch den andern Teil der Geschichte erfahren. An einem der nächsten Abende werde ich sie Ihnen ganz erzählen. Heute könnte ich nicht. Ich muss dieses Zufallswerk etwas verarbeiten, das uns plötzlich über die durch die Umstände bedingte Begegnung auf diesem Schlepper hinweg vereint. Wir legen seit langer Zeit einen sehr viel längeren gemeinsamen Weg zurück.« Ich nickte. Im Moment fehlten mir die Worte, mit denen ich die seinen hätte ergänzen können. Er sprach schlicht meine eigenen Gedanken aus. Lange schon nachdem die Uhr im Steuerhaus, auf dessen Dach wir ruhten, zwölf Uhr geschlagen hatte, gingen wir mit einem ›Gute Nacht‹ schlafen, in dem ein anderer Ton zu spüren war.
    An jenem Abend träumte ich wieder vom Tramp Steamer. Es waren atemberaubende, ungeordnete Episoden, in denen das alte Schiff seine Gegenwart mit rätselhaften Zeichen erklärte, die mir zunehmend ein vages Unwohlsein verursachten, ein dumpfes, unerklärliches Schuldgefühl. Am frühen Morgen, als mir durch die dünnen Vorhänge des Bullauges wohl schon das erste Licht ins Gesicht schien, stellte sich die frisch gestrichene Alción in glänzenden, sauberen Farben ein: der Rumpf mennigerot, fast in die Farbe getrockneten Blutes spielend, die Decks in zarten Cremetönen mit einer himmelblauen Linie, die über den ganzen Trakt der Kajüten, des Offiziersdecks und der Kommandobrücke lief. Auch der Schornstein war cremefarben und hatte eine gleiche Linie. Wer kommt bloß auf die Idee, ein Schiff so zu streichen? Wie lächerlich!, dachte ich in einem Halbschlafblitz, bevor ich ganz erwachte. In diesem Moment begann der Schlepper gegen das Ufer abzutreiben. Er legte bei einer kleinen Ortschaft an, deren Häuser Strohdächer und einige wenige Dächer aus Zinkblechen hatten. Der Ort wirkte ausgesprochen unfreundlich und elend. Auf dem Haus, das die Kaserne sein musste, bewegte sich die dreifarbige Fahne so träge, dass die erdrückende Schwüle noch offensichtlicher wurde. Zwei grau gestrichene Catalina-Flugzeuge der Marineinfanterie waren vorn an einer schwachen Holzmole vertäut. »Das ist La Plata«, erklärte mir der Lotse, der eben an meiner Kajüte vorbeiging. »Seit einiger Zeit gibt es hier Streit mit den Leuten aus dem Hochland. Wir lassen einen Kahn mit Diesel hier und fahren sogleich weiter.« Weder der Ort noch die Erklärung des Lotsen sagten mir viel. Ich ging wieder hinein, um eine Dusche zu nehmen und dann mit dem baskischen Seemann zu frühstücken. Der wusch sich gerade in der Nebenkajüte und veranstaltete mit dem Wasser einen Lärm, als würde er unter der Dusche turnen. Das Detail bewegte mich besonders. Es lag etwas Nahes, fast Vertrautes in diesem Planschen, das in seiner Begeisterung ungewöhnlich war und mich an die Morgen im Brüsseler Internat erinnerte, wenn geduscht wurde. Die Kreise, die sich schließen, wenn der Zufall rätselhaft und maßlos eingreift!
    Beim Frühstück, das kurz und einfach war, da wir beide den Tee mit Toast und Butter bevorzugten, sprachen wir von belanglosen Dingen: von Häfen, von Flugzeugen, vom Dauerzustand der sich allmählich über den ganzen Fluss ausbreitenden Gewalt; kurzum, nichts, was wirklich mit unserem Leben zu tun hatte, von dem wir spürten – jeder auf seine Art –, dass es auf andere Horizonte, andere Gegenden, andere Menschen ausgerichtet war.

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