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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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sich aufzudrängen, begleitete er sie zum Hotel. Beim Abschied sagte sie ihm mit liebenswürdigem, etwas ironischem Lächeln: »Schön, Kapitän, ich werde also Nachricht von Ihnen erhalten. Denken Sie daran, dass meine Zukunft in Ihren Händen liegt.« Vor der Drehtür, durch die sie verschwunden war, blieb er eine Weile gedankenversunken stehen. Dann ging er zum Schiff zurück, warf sich angekleidet in die Koje und versuchte, jeden Zug dieses Gesichts, jede Nuance dieser Stimme zu rekonstruieren, die ihn in eine Hypnose versetzten, welche allmählich weit in die Vergangenheit zurückführte, in die Vergangenheit eines Volkes von Magiern und moslemischen Heiligen, von Kriegern und Seefahrern ohne Windrose.
    Die Nächte im Sumpf, unter dem sternenübersäten Himmel, der mit lauem Pulsieren phosphoreszierte, waren günstig für Jon Iturris langes Bekenntnis. So wie ich es hier resümiere oder ordne, ist es leider nicht möglich, die zunehmenden Akzente zurückgehaltener Emotion so zu setzen wie in Jons Erzählung. Die Art, wie der Schiffskapitän auf Warda Bashurs Schönheit Nachdruck legte, hatte etwas Reiteratives, glich einer Litanei oder Kantilene. Es war ergreifend, zu hören, wie er mit den Worten kämpfte, die immer so armselig sind und so fern von einer Erscheinung, wie es menschliche Schönheit ist, wenn sie in den Rang des in seinem Wesen Unbeschreiblichen kommt. Da war beispielsweise der Eifer, zu beschreiben, wie die junge Frau jedes Mal gekleidet war. Vielleicht dachte Jon, so von einem andern Winkel aus ans Ziel zu kommen, wenn er spürte, dass die reine Beschreibung von Gesicht und Körper höchstens ein ungreifbares, reichlich wirres Bild in der Luft schweben ließ. Aus andern Gründen, diesmal der natürlichen Scham und Zurückhaltung seines Volkes zuzuschreiben, stolperte er auch immer wieder bei der Beschreibung seiner Beziehung zu Warda und der Art, wie sie allmählich in den ›hortus clausus‹ einer Intimität gelangten, die er unmöglich näher definieren konnte – aus den genannten Gründen und wegen seines Seemannscharakters, wenig geübt darin, sich in den Schilderungen und Kniffs zu ergehen, wie sie diesen Geschichten der Landmenschen eignen. Ich will versuchen, eine geradere, knappere Linie zu wählen, als Jon sie in den Nächten im Sumpf einschlug, wo er mir seine Erfahrung schilderte.
    Nachdem er in Hamburg eine schwere Fracht Kaffee und Maschinenersatzteile für Gdingen und Riga geladen hatte, kehrte er nach Kiel zurück, wo er wiederum eine Fracht für Marseille aufnahm. Diese Reiseroute teilte er der Miteigentümerin der Alción in der vereinbarten Form mit. Mit dem Tramp Steamer geschah ihm etwas sehr Merkwürdiges: Langsam gewöhnte er sich an das unerfreuliche Aussehen des Schiffs, das sehr täuschte, wie ihm schon Bashur in Antwerpen gesagt hatte. Auch wenn die Maschinen aus dem Anfang des Jahrhunderts stammten, waren sie so überaus gewissenhaft und umständlich unterhalten worden, dass sie sehr viel besser funktionierten, als ihre Arrythmien und klagenden Aussetzer annehmen ließen. Die mangelnde Farbe, der sich allmählich bis in die verborgensten Winkel ausbreitende Rost und die unglückliche Silhouette des Schiffs waren teilweise behebbare Mängel, und er nahm sich vor, das bei der erstbesten Gelegenheit zu tun. Die Kräne arbeiteten noch ohne größere Schwierigkeiten. Ihre Langsamkeit und ihr Wanken brachten die Löscher auf den Molen in Rage, aber ganz versagten sie nie. Mit der Zeit verspürte Jon für sein Schiff Zuneigung und Solidarität und hörte die manchmal humorvollen, manchmal offen unbeherrschten Bemerkungen seiner Kollegen oder des Molenpersonals sehr ungern. Jedes Mal, wenn so etwas geschah, musste er für sich denken: Kennten sie die Eignerin – was würden sie für ein Gesicht machen und wie anders sähen sie sicherlich die Alción.
    Als er in Marseille eintraf, erwartete ihn eine knappe Mitteilung, in der Warda ihm für den nächsten Tag ihr Kommen ankündigte. Sie gab weder ein Hotel noch das Transportmittel an, das sie gewählt hatte. Am Mittag des nächsten Tages, als das Löschen unter einer am wolkenlosen Himmel brennenden Junisonne in vollem Gang war, sah Jon sie am Fuß des Fallreeps erscheinen. Sie war mit einem Taxi gekommen, das sich sogleich wieder entfernte. Sie begrüßte ihn mit unerwartet vertraulichem Winken und begann rasch die schaukelnden Sprossen heraufzusteigen. Er war im Hemd, ohne seine Seemannsmütze, die er nur selten abnahm, und

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