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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Die letzte Fahrt des Tramp Steamer

Titel: Die letzte Fahrt des Tramp Steamer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Álvaro Mutis
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Ordnung halten. Sie wollten immer, dass ich dasselbe mache. Merkwürdigerweise war ich nie rebellisch und bin es auch jetzt nicht. Vielleicht will ich eine Zukunft, die der meiner Schwestern irgendwie gleicht, aber ich möchte sie selbst wählen und im Rahmen gewisser Launen und persönlicher Vorlieben, die noch nicht sehr ausgeprägt sind, die ich aber zu verstärken hoffe, wenn ich eine Weile in Paris, dann in London und New York lebe. Ich bin eine gierige Leserin, und die Malerei begeistert mich. Die Malerei, die an den Wänden hängt. Ich selbst bin unfähig, einen Strich zu zeichnen, dem irgendetwas ähnlich sieht. Deshalb wollte ich Sie bitten, sich unter keinen Umständen an meine Familie zu wenden, um mit mir in Verbindung zu treten, und auch nicht mit ihnen über meine Ortswechsel zu sprechen, wenn Sie irgendwann jemandem von ihnen begegnen. Ich habe zwar nichts zu verbergen, aber wenn ich ihnen die kleinste Ritze offen lasse, schleichen sie sich durch sie ein und werden mich nicht mehr nach meinem eigenen Willen handeln lassen. Ich möchte nicht, dass Sie den Eindruck einer jungen Frau bekommen, die mitten in einer Rebellionskrise steckt. Ich sage noch einmal, dass ich eine ziemlich ruhige Person bin, Exzesse jeder Art, Übertreibungen und große Worte bringen mich in Harnisch. Ebenso wenig pflege ich mich an etwas festzuklammern, was ich für endgültig hielte. Nichts ist endgültig. Das bisschen Leben, das ich gelebt habe, genügt mir, um es festzustellen. Vielleicht erscheint es Ihnen seltsam, dass ich mich über etwas so Persönliches aufhalte, aber da ich meine Leute sehr genau kenne, möchte ich mich vor jedem Eingreifen von ihnen in mein Leben schützen, zumindest jetzt, in dieser Zeit der Prüfung und Bildung, wie ich das etwas hochtrabend nenne.« Natürlich gab ihr Iturri jede Garantie, dass sie ihre Unabhängigkeit bewahren würde, und wagte ihr sogar zu sagen, er halte das für einen Plan, der auf eine mustergültige Besonnenheit hindeute. Er sei sicher, schon jetzt lasse sich sagen, dass das Ergebnis dieser europäischen Erfahrung bei jemandem wie ihr sehr gründlich, sehr positiv sein und sicherlich eine radikale Änderung mancher ihrer Gedanken und Gewohnheiten bewirken werde. Rasch erwiderte sie, sie erwarte sie weder so radikal, noch wolle sie vieles von dem ändern, was jetzt ihr Leben ausmache. »Sagen wir, ich bin konservativ, aber ich will entscheiden, was ich beibehalten will, ohne es mit den andern zu besprechen oder auf ihre Zustimmung zu warten.«
    Jon überraschte, wie Warda von sich selbst sprach, mit einer nicht nur wenig weiblichen – so wenigstens erschien es ihm –, sondern für ihr Alter und bei ihrer sicher geringen Lebenserfahrung auch völlig unerwarteten Intelligenz und Objektivität. Es war etwas an ihr, was den Basken auf ganz besondere Weise zu faszinieren begann – diese Mischung aus Gelassenheit, natürlicher Sicherheit und der ruhigen Art, sich und ihre Zukunft zu sehen, und alles gefärbt mit etwas, was man zwar nicht gerade Zärtlichkeit nennen konnte, was auf ihren Gesprächspartner aber wie Balsam einwirkte. Da gab es weder Kanten noch überraschende Ungereimtheiten, noch verborgene Mechanismen, die plötzlich losgehen konnten. Und all das ausgedrückt in diesen zeitlos vollkommenen Gesichtszügen und einem nicht weniger harmonischen, starken Körper. Iturri dachte, bei diesem und bei anderen Gesprächen an den Vortagen habe sie sich gewiss amüsiert, wie er alle Augenblicke ein Gesicht verdutzter Bewunderung, geblendeter Ungläubigkeit aufsetzte, und das brachte ihn noch immer zum Erröten, wenn er sich daran erinnerte. Diese Verbindung von Schönheit und reifer Gelassenheit bei Warda übten von Anfang an einen Einfluss auf ihn aus, dessen Tiefe und Verästelungen immer deutlicher und entscheidender wurden. Mochte es auch emphatisch und übertrieben klingen, die Welt hatte sich für Jon verändert. Wenn sie so jemanden beherbergte, dann konnte sie nicht sein, was er bisher gedacht hatte. In den nächsten Tagen würde er fünfzig, und auf einmal sah alles um ihn herum völlig neu und verwirrend aus. Es war sehr schwierig zu erklären. Ein so umfassendes Phänomen Liebe zu nennen, würde heißen, es zu vereinfachen, in schon skandalöse Oberflächlichkeit zu verfallen. Dieses Wort wurde fast immer mit gezinkten Karten ausgespielt. Da war etwas erwacht, was einstweilen nicht in Worte zu fassen war.
    Sie verließen das Restaurant, und ohne es anzubieten oder

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