Die letzte Flucht
Bruder telefoniert, der ebenfalls Mediziner an der Charité war, wenn auch an einer Nebenstelle draußen in Buch. Der Bruder bestätigte das Telefonat.
Wer auch immer das Mädchen entführt hatte: Voss konnte es nicht gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass er die Entführung in Auftrag gegeben hatte. Sie konnte bisher nicht ermitteln, wer diesen Auftrag ausgeführt hatte.
Dengler las die Presseberichte, die erschütternden Appelle der Eltern an den Entführer, die reißerischen Artikel der Zeitung mit den großen Buchstaben, die seriöseren der Berliner Zeitung und des Tagesspiegels . Jasmins Vater arbeitete in der Verwaltung der Freien Universität. Er überwachte mit einer kleinen Abteilung von vier Mitarbeitern das Budget der Universität. Norbert Berner verdiente als leitender Angestellter des Öffentlichen Dienstes 3449 Euro im Monat. Von ihm konnten die Entführer keine Millionen für das Kind erpressen. Aus diesem Grund und weil von den Entführern keine Botschaft geschickt wurde, ging die Polizei bald von einem Sexual- und Tötungsdelikt aus. Hundertschaften durchsuchten ein vielgleisiges Areal der Berliner S-Bahn in der Nähe und die Wälder am Wannsee, sogar der Landschaftsfriedhof Gatow wurde durchkämmt. Taucher stiegen in den Hubertus- und in den Koenigssee.
Hunderte von Hinweisen aus der Bevölkerung gingen ein. Die Sonderkommission, die beim Berliner Polizeipräsidenten eingerichtet wurde, arbeitete rund um die Uhr, ging jeder Spur nach. Dengler konnte sich den Stress der Beamten vorstellen. Er fand keinen Hinweis auf einen Fehler.
Jasmin blieb verschwunden.
Nach einer Woche wandte sich die Berichterstattung anderen Themen zu.
Nach sechzehn Tagen fand man Jasmin.
Ihre Leiche lag am Ufer des Heidereutersees. Ein älterer Mann, der nicht schlafen konnte und sich entschieden hatte, zum Nachtangeln an den See zu gehen, sah sie an einem der wenigen Anglerstege liegen.
Der Heidereutersee ist bei Anglern beliebt. Das Wasser ist klar und nährstoffarm, obwohl der Boden stark mit Wasserpflanzen überwuchert ist. Es gibt einen reichen Fischbestand an Aalen, Weißfischen, Hechten und Karpfen.
Der Mann dachte zunächst, dort läge ein betrunkener Teenager, schließlich las er täglich vom Komasaufen, das Jugendliche veranstalteten, aber als er näher kam und sah, dass es sich bei der regungslosen Gestalt um ein Mädchen handelte, ein Kind noch, zu jung zum Komasaufen, kam ihm sogleich der Verdacht, dass dies das vermisste Mädchen sein könnte, nach dem ganz Berlin suchte. Er habe ihren Kopf hochgehoben und sie gleich erkannt, weil er ihr Bild im Fernsehen und in der Zeitung gesehen habe, gab er zu Protokoll. Er setzte sofort über sein Handy einen Notruf ab.
Der Anruf des Anglers ging um 2.14 Uhr bei der Berliner Polizei ein. Dort war man auf diesen Anruf vorbereitet. Zwanzig Minuten später sperrten Polizei und Spurensicherung die Fundstelle ab.
Der Zugang zum Anglersteg war wegen der starken Uferbewachsung schwierig, sodass die Staatsanwaltschaft einen alternativen Weg für Polizei, Spurensicherung und Rechtsmedizin durch das Unterholz schlagen ließ, um keine Spuren auf dem schmalen Trampelpfad zu verwischen, der zum See und zum Anglersteg führte.
Vierzig Minuten, nachdem der Angler Jasmins Leiche gefunden hatte, traf auch Professor Kokost, der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, am mittlerweile hell erleuchteten Fundort ein. Er führte zunächst eine äußere Leichenschau durch. Das Protokoll dieser ersten Untersuchung fand Dengler ebenfalls in den Akten.
Bereits bei dieser ersten Untersuchung vermutete der Rechtsmediziner Genickbruch als Todesursache. Die Obduktion bestätigte seine Annahme. Todesursache waren zwei mit großer Wucht ausgeführte Schläge: einer auf den Hinterkopf und einer ins Genick des Kindes. Die Halswirbel waren gebrochen. Eine klaffende Wunde am Kopf war der äußerliche Hinweis für ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Jasmin musste sofort tot gewesen sein. Die Schläge, auch das bestätigte die Obduktion, trafen das Kind lebend, nicht postmortal. Die Obduktion am freigelegten Schädel ergab weitere Informationen. Die Schläge wurden mit einem länglichen, runden Gegenstand nahezu waagerecht auf den hinteren Teil des Halses des Kindes ausgeführt, der Schlag auf den Hinterkopf vertikal.
Kokost vermutete, dass Jasmin nach dem ersten Schlag auf den Kopf vornübergefallen war und seitwärts lag, als der zweite Schlag sie traf.
Dengler las den
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