Die letzte Flucht
das eingebaute Mikrofon mit.
Warum sollte ich Ihnen vertrauen?
Tun Sie es einfach.
Ich versuche es.
Henry klappte den Laptop zu. Er zahlte, verließ das Café und fuhr zurück.
***
»Warum tun Sie das?«, fragte Henry, als er seinem Gefangenen wieder gegenübersaß. Den Laptop hatte er vor sich aufgestellt und eingeschaltet.
Assmuss runzelte die Stirn.
»Was machen Sie mit dem Laptop? Schreiben Sie mit?«
»Ich stelle die Fragen. Also: Warum versuchen Sie, die Ärzte zu manipulieren?«
»Wir manipulieren nicht, wir geben Entscheidungshilfen, wir wollen doch nur …«
»Soll ich gehen?«
»Nein, bleiben Sie. Ich kooperiere, das wissen Sie doch, aber manchmal, ja, manchmal falle ich eben in den Jargon, der, na ja, für außen gedacht ist.«
»Für außen?«
»Die Sprachregelungen für die Öffentlichkeit, Presse, Politik und so weiter.«
»Das interessiert mich nicht.«
»Ich weiß. Wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen aus unserer Sicht, warum wir Einfluss auf das Verordnungsverhalten der Ärzte nehmen müssen .«
»Ich höre.«
»Nun, Sie müssen wissen: Ich arbeite in einer sehr profitablen Branche. Die großen Konzerne erwirtschaften eine Umsatzrendite zwischen 30 und 40 Prozent.«
»Ich bin kein Wirtschaftsspezialist. Das ist vermutlich viel.«
»Das bedeutet, dass von jedem Euro Umsatz, der in unsere Kasse kommt, 30 oder 40 Cent bei uns bleiben – besser gesagt, wir können es an die Eigentümer überweisen. Von unseren Zahlen würde der Ackermann einen Ständer kriegen. Der Maschinenbau erwirtschaftet beispielsweise drei Prozent, der Einzelhandel noch weniger. Das Besondere an unserer Branche ist, dass unser Geschäft nicht konjunkturabhängig ist. Die Leute werden krank, ob die Wirtschaft boomt oder gerade Krise herrscht. Mindestens 30 Prozent, das gilt immer, Sommer, Winter, gute Zeiten, schlechte Zeiten.«
»Verstehe.«
»Mein Job ist es, 40 Prozent zu halten und auszubauen. Sobald Peterson & Peterson unter 30 Prozent kommt, fliege ich raus. Am selben Tag.«
»Verstehe.«
»Wir müssen daher Medikamente verkaufen, die einen gewissen Preis haben.«
»Sie meinen, die teuer sind.«
»Ich meine Medikamente, die genug Umsatzrendite bringen.«
»Das ist wohl dasselbe.«
»In Deutschland hilft uns, dass wir, also die Pharmafirmen, die Preise selbst festlegen können. Sobald ein Medikament zugelassen ist, kann der Arzt es verschreiben, und dannmuss die Krankenkasse unseren Preis bezahlen, ob sie will oder nicht. Das ist sehr hilfreich.«
»Sie sagen mir gerade, dass weder Angebot noch Nachfrage noch Qualität oder Wirksamkeit den Preis regeln.«
»Gott sei Dank nicht. In England und anderen Ländern müssen wir mit den Krankenkassen und den Krankenhäusern den Preis verhandeln. In Deutschland legen wir ihn allein fest. Daher sind die Arzneipreise hierzulande um ein Vielfaches erfreulicher als anderswo.«
»In anderen Ländern sind Medikamente billiger?«
»Leider erzielen wir in anderen Ländern nicht die gleichen Erlöse wie in Deutschland. Oft kosten die Medikamente nur 20 Prozent von dem, was sie uns hier einbringen.«
»Verstehe«, sagte Henry. »Gibt es irgendeine Krux an diesem System – aus Ihrer Sicht?«
»Der Ablauf der Patente, das ist das wirklich Schlechte.«
»Erklären Sie es mir.«
»Wir haben ein Medikament. Und wir haben dazu einen hohen Preis. Das ist wunderbar. Und wunderbar ist auch, dass niemand unser Medikament nachmachen darf. Das Patentrecht schützt unser Medikament. Wir haben es allein. Ein Monopol.«
»Ohne Konkurrenz. Solange das Patent gilt.«
»Genau. Aber das Patent läuft nach einer bestimmten Zeit aus. Leider …«, sagte Assmuss.
»Was geschieht, wenn das Patent ausläuft?«
»Dann gibt es sofort Firmen, die das Medikament nachmachen. Ganz legitim. Sie bringen das gleiche Medikament auf den Markt, nur billiger. Diese nachgemachten Präparate nennt man Generika.«
»Und sind diese Generika, medizinisch gesehen, das Gleiche wie Ihr altes Medikament?«
»Ja. Diese Nachahmerprodukte beinhalten die gleichen Wirkstoffe. Vielleicht hat die Pille eine andere Farbe. Mehr aber nicht.«
»Wie lange ist Ihr exklusives Geschäft mit dem Medikament durch das Patent geschützt?«
»Zwanzig Jahre. Dann können wir durch Klagen gegen die Generika-Firmen das Ganze noch ein paar Jahre rauszögern, aber dann …«
»… dann will niemand mehr Ihr teureres Medikament.«
»Die Krankenkassen, die Politik – alle wollen dann, dass Generika verschrieben
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