Die letzte Flucht
werden.«
»Sie nicht?«
»Nein. Ich nicht.«
»Aber in diesen zwanzig Jahren können Sie doch die Kosten wieder hereinwirtschaften, die Sie, nun ja, ausgeben mussten.«
»Es geht nicht um die Kosten, die haben wir nach einer gewissen Zeit wieder drin. Es geht um die Umsatzrendite. Die erzielen wir nur mit patentgeschützten Medikamenten. Und die Gewinne stürzen ab, deutlich, wenn Patente auslaufen.«
»Dann haben Sie also keine 40 Prozent mehr, sondern – so wenig wie der Maschinenbau?«
Assmuss lachte. »So schlimm wird es sicher nicht.«
»Und was tun Sie dagegen?«
»Die Branche verhält sich an diesem Punkt etwa einheitlich. Wir bringen ein neues Medikament.«
In diesem Augenblick erschien eine Meldung auf Henrys Bildschirm. Er las sie aus dem Augenwinkel:
Fragen Sie ihn, ob er ein besseres Medikament bringt.
»Bringen Sie dann ein besseres Medikament?«
Assmuss schwieg.
Henry lehnte sich im Stuhl zurück: »Bringen Sie dann ein besseres Medikament?«
Assmuss zog die Luft tief durch die Lunge ein, als wolle er eine innere Barriere überwinden.
»Darum geht es nicht«, sagte er. »Es geht darum, wieder ein Hochpreis-Medikament für die betreffende Krankheit zuhaben und zu verhindern, dass die Ärzte Nachahmer-Präparate verschreiben. Es geht um die 40 Prozent.«
»Das neue Präparat ist also keine Verbesserung?«
»Ich gebe zu: Meist verändern wir nur ein paar Moleküle, aber im Grunde ist es immer noch unser altes Präparat. Es bekommt einen neuen Namen, wir haben ein neues Patent, und nun werfen wir die Maschine an, um die Kundschaft, also die Ärzte, zu überzeugen, dass sie das neue Produkt verschreiben.«
»Das teurere, obwohl es ein billigeres, identisches gibt?«
»Ja.«
»Und es gelingt Ihnen tatsächlich, die Ärzte davon zu überzeugen?«
»Wir haben eine gewisse Erfahrung auf diesem Gebiet. Wir haben hart an dem Mythos gearbeitet, dass ein neues Medikament auch ein besseres ist.«
»Das ist nicht so?«
»Natürlich nicht. Wir bringen neue Medikamente nicht aus medizinischen, sondern aus kommerziellen Gründen. Ältere Medikamente haben, unter medizinischen Gesichtspunkten gesehen, oft den Vorteil, dass sie besser untersucht sind, dass man ihre Nebenwirkungen kennt und so weiter. Meine Aufgabe ist aber eine völlig andere. Ich habe dafür zu sorgen, dass Ärzte möglichst teure Medikamente verordnen, und zwar die von Peterson & Peterson .«
»Dann schlagen Sie zum Beispiel Anwendungsbeobachtungen vor oder Sie liefern iPods für jeden Patienten?«
» Peterson & Peterson gibt grundsätzlich keine Sachleistungen.«
Henry lachte kurz.
»Sorry, ich vergaß, Sie bevorzugen Geld.«
»Es ist ein hartes Geschäft.«
»Ich verstehe langsam. Ihre Aufgabe besteht darin, die Ärzte dazu zu bewegen, teure Medikamente zu verschreiben, obwohl es auch günstigere gibt, die genauso gut wirken.«
»Das ist sicher ein Teil meiner Aufgabe. Genauer könnte man sagen: Meine Aufgabe ist es, mindestens so viel Geld aus den Krankenkassen auf die Konten von Peterson & Peterson zu leiten, dass die geplante Rendite erreicht wird. Das geht nun mal nicht mit billigen Medikamenten.«
»Haben Sie noch weitere Tricks auf Lager?«
»Das sind keine Tricks, noch nicht einmal besondere Geheimnisse. Das hat sich so eingespielt. Man kann das sogar in Büchern nachlesen. Die Öffentlichkeit und die Regierung akzeptieren dieses Verfahren.«
»Ok. Ich verstehe. Aber hin und wieder bringen Sie doch ein neues Medikament auf den Markt, eine Innovation. Ich meine, Sie forschen doch auch?«
Assmuss schien sich innerlich zu verbiegen. Er sah Henry an und schwitzte.
»Sie wollten kooperieren.«
»Nun gut, in der Branche gibt es so etwas wie einen Forschungsstillstand. Wir hängen das nicht an die große Glocke, verstehen Sie?«
»Nein. Erklären Sie es mir.«
Assmuss zögerte kurz und atmete mit einem leichten Stöhnen aus, bevor er weitersprach: »Es ist so: Zwischen 1990 und 2009 sind etwas mehr als 550 neue Wirkstoffe auf den Markt gekommen. Davon waren aber nur acht eine echte Innovation, eine übrigens von Peterson & Peterson . Zwischen 40 und 50 hatten einen kleinen, beschränkten Zusatznutzen, nicht der Rede wert. Der Rest, also 90 Prozent, waren genauso gut, manche auch schlechter als die Vorläufermedikamente. Sie waren nur teurer.«
»Und diese teuren, gleich oder weniger guten Medikamente schwatzen Sie dann den Ärzten auf und die wiederum den Patienten? Hab ich das richtig verstanden?«
Der
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