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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Medikament?«
    »Es ist uns damit gelungen, die Jahrestherapiekosten auf 114   835 Euro hochzufahren.«
    »Macht Visceratin die Patienten wieder gesund?«
    »Gesund? Nein. Aber wir verlängern das Leben der krebskranken Menschen.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Da darf der Preis doch wirklich nicht das erste Kriterium sein. Zumal – den bezahlen doch die Krankenkassen.«
    »Wie lange verlängert dieses Medikament das Leben?«
    »Nun, da kann ich Ihnen sagen, Henry, dass wir bei fortgeschrittenem Lungenkrebs erstmals die Schallmauer von zwölf Monaten Überlebenszeit durchbrochen haben. Wir konnten sie auf 12,3 Monate steigern und arbeiten an weiteren Verbesserungen.«
    »Das hört sich gut an.«
    »Nicht wahr? Sie wirken nachdenklich, Henry.«
    »Sagen Sie, Assmuss, wie hoch war die Überlebenszeit ohne Ihr Medikament?«
    Dirk Assmuss schwieg.
    »Kann ich noch ein Glas von dem Barbera haben?«
    Henry goss schweigend nach.
    »Nun, ohne Visceratin sterben die Patienten im Durchschnitt nach 10,3 Monaten, mit unserem Medikament sind es 12,3 Monate.«
    »Und das nennen Sie eine Schallmauer? Zwei Monate!«
    Plötzlich schrie Assmuss: »Es geht um den Preis, den Umsatz. Verstehen Sie das denn nicht? Und die anderen machen es doch genauso!«
    Henry sprach ganz leise: »Wie machen es die anderen, Herr Assmuss?«
    » Roche . Nehmen wir mal das Beispiel Roche . Die haben Herceptin. Gegen Brustkrebs. Ich habe die Pressemitteilung von Roche gelesen. Sie haben geschrieben, dass nach vier Jahren Behandlung mit Herceptin 90 Prozent der Patientinnen noch lebten.«
    Assmuss schwieg erschöpft und trank einen kräftigen Schluck Barbera.
    »Und?«, fragte Henry. »Das klingt doch gut.«
    »Was die nicht schrieben, war, dass in der gleichen Studie von den Frauen, die nicht mit diesem Medikament behandelt wurden, ebenfalls noch 90 Prozent lebten.«
    Assmuss redete sich in Rage: »Alimta von Lilly . Nur um ein Beispiel zu nennen. Da geht es um Lungenkrebs. Das Medikament habe das Überleben um ein Jahr verlängert – so hat Lilly geworben. Tatsächlich erhöhte sich die Lebenserwartung von 10,9 auf 12,6 Monate. Tarceva von Roche verlängert das Leben um zwei Monate im Durchschnitt bei Lungenkrebs und bei Magenkrebs um drei Wochen. Avastin um zwei Monate bei Lungenkrebs. Bei Tyverb von GlaxoSmithKline konnte bei Brustkrebs nicht ein einziger Tag nachgewiesen werden, ebenso bei Sutent von Pfizer und bei …«
    Er schwieg plötzlich erschöpft: »Das machen doch alle so. Warum entführen Sie nicht die?«
    »Helfen diese neuen Substanzen?«
    Assmuss’ Gesicht war knallrot. Er schwitzte. Ein Tropfen löste sich von der Stirn, lief den rechten Nasenflügel hinab, passierte den Mundwinkel, hing einige Sekunden am Kinn des schweren Mannes, bevor er auf den Boden fiel. Assmuss bemerkte es nicht.
    Er sagte leise: »Den meisten Patienten helfen sie nicht. Einigen ein bisschen. Nur bei sehr wenigen funktionieren sie. Immerhin.«
    Erneut atmete er schwer.
    Henry erinnerte sich, dass die Stimme, die ihn am Computer begleitete, gesagt hatte, er solle nach den Nebenwirkungen fragen.
    »Welche Nebenwirkungen hat Visceratin?«
    »Nebenwirkungen?«
    »Ja. Sie haben das doch gut verstanden.«
    »Es kann zu unerfreulichen Begleitumständen in der Therapie kommen.«
    »Etwas genauer bitte.«
    »Herzinsuffizienz. Leider. Häufiger müssen die Patienten auch speien.«
    »Sie sagen mir also, Ihr Medikament verlängert das Leben um zwei Monate. Aber die verbleibende Lebenszeit machen Sie den Patienten zur Hölle. Sagen Sie das, Herr Assmuss?«
    Assmuss schwieg.
    »Im Grunde plündern Sie mit diesen neuen Medikamenten die Krankenkassen aus. Ist das nicht der eigentliche Zweck?«
    Assmuss hob den Kopf. Er lachte. Wieder dieses meckernde Lachen. Henry lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
    »Die Krankenkassen haben ein Problem. Das stimmt. Diese Spezialpräparate machen zwar nur zwei Prozent der Verordnungen aus, aber bereits mehr als 25 Prozent der Arzneikosten. Tendenz steigend. Wir machen mit wenigen Pillen ein Riesengeschäft. Gut für uns.«
    »Gut für Peterson & Peterson . In der Tat. Aber ich wundere mich, wie Sie damit durchkommen. Sie müssen diese wahnsinnigen Preise doch irgendwie begründen.«
    »Das tun wir auch. Was denken Sie, wie hoch die Kosten für die Entwicklung eines solchen Präparates sind? Forschung, das ist unser Argument für die Preise.«
    »Halt. Haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie und Ihre Kollegengar nicht mehr wirklich forschen,

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