Die letzte Flucht
heißt?«
Englisch kann er wirklich nicht, dachte Assmuss. Auch das muss ich mir merken.
»Das bedeutet Werbung für Medikamente direkt beim Verbraucher.«
Das ist in Deutschland verboten.
»Ist das erlaubt?«
»In Deutschland verbietet das Heilmittelwerbegesetz, dass wir uns direkt an die Verbraucher wenden. Leider. Für verschreibungspflichtige Medikamente dürfen wir direkt nur bei Ärzten, Zahnärzten oder Apothekern werben.«
»Und Sie tun es trotzdem?«
»Nein. Die Ausgangslage verändert sich. Die jüngeren Ärzte sehen unser Engagement zunehmend kritischer. Ein Arzt hat mir mal offen ins Gesicht gesagt, er fühle sich beschmutzt, wenn er Geschenke von der Pharmaindustrie annehme. Es gibt eine Ärztevereinigung, die nennen sich ›Wir bezahlen unser Essen selbst‹. Stellen Sie sich das einmal vor! Als würden wir den Herren Doktoren nur das Essen zahlen!«
Assmuss schnaufte empört.
»Die wollen es nicht anders. Wir nehmen sie jetzt von einer anderen Seite her unter Feuer. Kern unserer neuen Strategie ist, dass die Patienten selbst verlangen, dass die Ärzte unsere Medikamente verschreiben. Wir wenden uns direkt an die Endverbraucher.«
Henry zog die Luft durch die Nase ein, beugte sich ein kleines Stück nach vorne, als wolle er etwas sagen, schwieg dann jedoch.
»Sehen Sie, der heutige Patient beschäftigt sich intensiv mit seiner Krankheit. Er liest Bücher über Gesundheitsthemen. Über Ernährung. Der moderne Patient hat ein gesteigertes Informationsbedürfnis. Wir befriedigen es.«
»Auch über Visceratin?«
»Sie fragen nun schon zum dritten Mal nach diesem Medikament, Henry. Leiden Sie an …«
»Ich stelle hier die Fragen.«
Assmuss legte beide Arme auf seinen Bauch. Er wirkte plötzlich sehr zufrieden.
Wir haben dich, Henry, dachte er. Wenn du nur einmal in deinem Leben Visceratin verschrieben bekommen hast, haben wir dich. Dein Name steht in irgendeinem Ärztecomputer. Die Polizei wird dich finden.
»Ich kann Ihnen helfen, Henry. Wenn Sie es möchten. Ich kenne die besten Ärzte, die besten …«
»Letzte Warnung: Halten Sie die Klappe und beantworten Sie meine Frage.«
»Gut. Wie Sie wollen. Es war ein Angebot, Henry, mehr nicht. Wir erstellen Internetseiten für die Krankheiten, zu denen wir ein Medikament anbieten.«
»Wie heißen diese Seiten?«
Jetzt geht es nur noch darum, hier zu überleben. Henry ist Kunde. Es geht um ein verschreibungspflichtiges Medikament. Die Polizei wird ihn finden. Ich muss nur aus diesem Keller lebend rauskommen.
»Wie heißen die Seiten?«
Assmuss schreckte aus seinen Gedanken und nannte drei Internetseiten, und Henry tippte sie ein.
»Assmuss – das sind Seiten von Selbsthilfegruppen.«
»Klar, das ist ja das Geniale. Wir dürfen nicht werben. Wir sponsern Selbsthilfegruppen. Wir bieten ihnen an, endlich einen richtigen Internetauftritt zu gestalten. Auf unsere Kosten natürlich.«
Er lachte.
»Da gibt es Diskussionsforen. Da kann man sich austauschen. Erfahrungen mitteilen. Alles sieht professionell aus und nicht so selbstgebastelt wie zuvor.«
»Und die Selbsthilfeorganisationen machen das mit?«
»Erstens haben die kein Geld. Zweitens, wenn sie nicht mitmachen, gründen wir eben neue.«
»Sie gründen neue Selbsthilfeorganisationen?«
» ›Direct to consumer advertising‹ – die Patienten stehen imMittelpunkt unseres neuen Marketingkonzepts. Wir informieren sie. Wir wollen, dass sie zu ihrem Arzt rennen und unsere Medikamente verlangen. Und wenn er sie nicht verschreibt, gehen sie zum nächsten Arzt. Der verschreibt sie dann ganz sicher.«
Assmuss lachte wieder dieses meckernde Lachen.
»Es funktioniert, Henry. Wir schulen unsere Pharmareferenten um. Sie betreuen Selbsthilfeorganisationen. Sie organisieren Veranstaltungen. Sie organisieren die Mietmäuler. Sie helfen bei …«
»Mietmäuler?«
»Sorry, Henry. Diesen Begriff dürfte ich gar nicht verwenden. Er ist mir rausgerutscht. Aber so nennt man in der Branche die Referenten, die gegen Bezahlung das Loblied auf unsere Produkte singen.«
»Können das auch Oberärzte sein oder gar Klinikchefs?«
»Das ist die unterste Stufe. Die setzen wir ein bei Patiententagen und Ähnlichem. Je glaubwürdiger, desto besser, Institutsleiter sind besser, die schreiben Aufsätze in den medizinischen Journalen, die wiederum die niedergelassenen oder die Fachärzte lesen.«
»Und treten auf diesen Veranstaltungen auch von Ihnen bezahlte Leute auf, geben sich als Patienten aus und
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