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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Ende.
    ***
    Spät am Abend stand er mit Gerd, dem Chefkellner, vor der Tür. Die letzten Gäste verließen gerade das Lokal. Von ihrem Platz aus sahen sie, wie ein Paar den Weg zum Parkplatz hinaufging.
    »Hübsche Frau hat er heute dabei«, sagte Gerd.
    »Kommt er mit verschiedenen Frauen?«
    »Manchmal mit der Ehefrau. Manchmal mit anderen. Das ist für uns nicht einfach. Wir dürfen dann nicht sagen: Der gleiche Wein wie letzte Woche? Oder so. Immer diskret sein.«
    Dengler stutzte.
    »Sag mal, Gerd, kann ich mal dein Handy benutzen? Ist dringend. Ich zahl das Gespräch.«
    »Nimm schon, wenn’s nicht gerade ins Ausland geht. Hab’ ’ne Flatrate.«
    Dengler nahm das Handy und ging zurück zur Spülmaschine. Dann wählte er die Auskunft und ließ sich die Nummer der K-Bar in Berlin geben.
    Er wählte und verlangte Jack von der Bar.
    »Hallo Jack«, sagte er. »Erinnern Sie sich noch an mich? Ich bin der Polizist, dem Sie die Geschichte von Jack Daniels und Frank Sinatra erzählt haben.«
    »Hey Mann, das erzähl ich jeden Abend zehnmal. Immer wenn ich einen Jack Daniels serviere.«
    »Ich habe Sie nach der Frau von Bernhard Voss gefragt. Erinnern Sie sich?«
    »Tolle Frau. Ist jetzt Witwe. Braucht wahrscheinlich viel Jack Daniels.«
    »Ist sie blond?«
    Schweigen.
    »Hallo Jack, haben Sie meine Frage verstanden: Ist sie blond?«
    »Wollen Sie mich verarschen? Die ist nicht blond.«
    »Rot?«
    »Ja. Klar. Seine Frau ist rothaarig.«
    Er musste nach Berlin.
    Frank Oehler musste sich einen neuen Spüler suchen.

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66. Dahlem
    Das Evangelische Krankenhaus in Dahlem stellte freundlicherweise seine Aula zur Verfügung. Der Saal lag direkt am Ende der Empfangshalle, entgegengesetzt zu den drei großen Aufzügen; man musste die Halle durchqueren, um zu dem Saal zu gelangen. Vor dem Eingang war ein Informationsstand der Selbsthilfegruppe aufgebaut. Broschüren, DVD s, Kugelschreiber lagen auf dem Tresen. Daniel steckte eine Broschüre mit dem Titel ›Therapie mit Visceratin‹ ein, überreicht von zwei freundlichen jungen Frauen.
    Die sind noch jünger als ich, dachte Finn Kommareck und hasste diese Krankheit noch mehr. Sie drückte sich fester an Daniels Arm. Sie wäre gerne wieder gegangen. Sie fühlte sich schwach. Ihre Gesichtsfarbe wurde immer gelber. Sie sah es jeden Morgen im Spiegel. Daniel schien es nicht aufzufallen. Oder spielte er ihr nur vor, dass er es nicht bemerkte? Sie war die Rolle der Hilfsbedürftigen nicht gewohnt, und sie mochte diese Rolle auch nicht.
    Bei der Polizei war sie die Chefin. Unumstrittenes Alphaweibchen in der Mordkommission. Auch in ihrer Ehe war sie die Stärkere. Sie war jemand, der gerne das letzte Wort hatte.
    Aber nun?
    Sie wollte nicht hilflos sein.
    Vielleicht half dieser Abend.
    Etwa zweihundert Menschen drängten sich in den Saal. Junge Leute stellten zusätzliche Stühle auf.
    »Ich finde das gut mit diesen Veranstaltungen«, sagte die ältere Frau, die sich neben sie setzte. »Man fühlt sich dann nicht so verlassen und allein mit dieser Krankheit.«
    Sie sah in die Gesichter der Menschen und sah ihre eigene Zukunft.
    Daniel trocknete ihre Tränen.
    Der Chef des Krankenhauses hieß sie willkommen. Er sprach in einem ermüdenden Vortrag über die Krankheit. Finn Kommareck verstand ihn nicht. Der Mann sprach monoton. Sie kannte die medizinischen Fachbegriffe nicht, und nach einer Weile hörte sie ihm nicht mehr zu, sondern hing ihren eigenen Gedanken nach.
    Manchmal ist sie auf dem Präsidium. Manchmal malt sie sich eine Spontanheilung aus. Sie sieht das erstaunte Gesicht von Dr. Rapp. Sie fährt für vier Wochen mit Daniel nach Italien. Und dann war der Chefarzt endlich zu Ende. Die Zuhörer klatschten, aber der Applaus war zaghaft und kurz.
    Nicht nur ich habe wenig verstanden.
    Daniel saß neben ihr. Er hatte einen kleinen Schreibblock in der linken Hand und in der rechten einen Kugelschreiber.
    Aber, das sah sie genau: Das Blatt war leer.
    »Puh, ich hätte Medizin studieren sollen«, flüsterte er ihr zu.
    Nun sprach Dr. Häußler, der Oberarzt, ein Onkologe. Er hatte graue Haare, eine Brille, wirkte vertrauenswürdig, aber auch er flüchtete sich in den Jargon der Mediziner.
    Klar verständlich wurde er erst, als er über ein neues Medikament sprach. Visceratin würde die Wachstumsschübe desTumors signifikant verlangsamen. Er habe dramatisch gute Ergebnisse mit dem Präparat gemacht. Neueste Forschungsergebnisse seien in das Medikament eingeflossen.
    Finn

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