Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
knickten ein, und er landete unbeholfen auf den Knien. Die Wachleute traten hinter ihn und packten ihn an den Schultern, so dass er weiterhin knien musste.
»Vor euch allen«, sagte Lammockson, »vor meinen engsten Freunden hier, musst du Buße tun, mein Sohn. Ich muss hören, wie du dich in aller Öffentlichkeit in vollem Umfang entschuldigst.« Er lächelte. »Dann wirst du alles bekommen.
Alles, was ich besitze, wenn ich sterbe. Eine Prinzessin, die durch ihre Kinder meine Gene - unsere Gene - weiterträgt.« Hier warf er Grace einen seltsamen Blick zu; eine leise Alarmglocke ertönte in Lilys Kopf. »Aber ich muss meine Autorität wahren. Wenn du auf deinem Verrat bestehst, bist du für mich nicht mehr von Nutzen, und dann landest du bei den Fischen, mein Sohn.« Er blickte aufs Meer hinaus. »Also, was soll es sein? Liebe oder Hass? Leben oder Tod?«
Hammond versuchte, den Blick abzuwenden, aber ein Wachmann packte ihn am Kinn und drehte ihm den Kopf nach oben. Die Blicke von Vater und Sohn verbanden sich. Es war ein außergewöhnlicher Moment, dachte Lily, pures Primatendrama.
Hammond gab als Erster nach. »Also schön«, zischte er, die Kiefer vom Griff des Wachmanns zusammengepresst.
»Wie war das?« Lammockson gab dem Wachmann ein Zeichen, ihn loszulassen.
»Also schön … Ich entschuldige mich. Ich entschuldige mich für meinen Verrat. Du hast gewonnen.«
»Ja, wie immer, nicht wahr?« Lammockson grinste und trat zurück.
Die Wachen ließen Hammond los. Er sackte nach vorn und rieb sich die Rückseiten der Beine.
Lammockson drehte sich um. »Nachdem das nun erledigt ist und wir wieder eine Familie sind, können wir mit unserer Kreuzfahrt beginnen. Der Kreuzfahrt unseres Lebens, ha!«
Lily spürte eher, als dass sie es hörte, wie die Maschinen erwachten, ein tiefes Dröhnen, das durch die Decks vibrierte. Sie warf einen Blick zum Ufer hinüber und sah, wie es allmählich davonglitt, als die Arche sich aus eigener Kraft
durchs Wasser schob. Die Schiffssirene erklang, ein tiefer Basston, wie das Brüllen eines Wals. Vögel flogen in einer Wolke aus dem versinkenden Chosica auf.
Nathan Lammockson hob sein Glas, und unter seinen Freunden brach ein kurzer Beifall aus.
Hammond kam langsam auf die Beine.
75
DEZEMBER 2035
Aus Kristie Caistors Sammelalbum:
Kristies erster Eintrag ins Sammelalbum während der Reise der Arche Drei stammte vom ersten Weihnachtsfeiertag 2035, dem ersten Weihnachten auf See. Bis dahin hatte sie es nicht ertragen können, ihren Handheld anzufassen, nicht seit dem Tod Ollantays und ihrer Mutter an jenem verhängnisvollen Tag im August.
Aber Lammockson gab sich zu Weihnachten echte Mühe und richtete im Restaurant eine große Feier für die Schiffskinder aus. Es waren Hunderte. Und dann veranstaltete Kristie für Manco eine eigene kleine Feier in ihrer Kabine, mit Schalentierpapierschlangen und einem selbst gemachten Inka-Spielzeugkrieger, der aus der Vikunjawolle ihrer alten Kleider gestrickt war. Sie erlaubte auch Lily, ihren Großneffen zu besuchen. Lily brachte Süßigkeiten mit. Kristie zeichnete einiges davon auf, als Erinnerung für Manco; es wäre ihr als unfreundlicher Akt ihm gegenüber erschienen, es nicht zu tun.
Aber sie ertappte Lily dabei, wie sie den Handheld und den alten pinkfarbenen Rucksack ansah, den sie aus London mitgenommen und sich später auf Dartmoor unter Einsatz ihres Lebens direkt vor Waynes Nase geholt hatte.
Der Rucksack und sein Inhalt bedeuteten Kristie eine
Menge, auf eine Art, über die sie nur ungern nachdachte. Ihre kleine Tasche voller Andenken war eine letzte Verbindung zu ihrer tiefsten Vergangenheit. Und sie hatte sie an jenem schicksalhaften Augusttag nach Cusco mitgenommen. Warum hätte sie das tun sollen, wenn sie nicht irgendwo tief im Innern bereits gespürt hätte, dass dieser Tag einen weiteren Bruch mit der Vergangenheit bringen würde? Sie vermutete, dass Lily ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen.
Am Abend dieses Weihnachtstages weinte Kristie wieder, wie sie es seit August nicht mehr getan hatte. Sie weinte wegen Manco und um Ollantay, weinte über die Arroganz und Dummheit, die ihm zum Verhängnis geworden waren; sie hatte immer gewusst, dass das eines Tages passieren würde. Und sie weinte um London, weinte darüber, dass sie so weit gekommen war und nie mehr zurückkehren konnte.
76
MÄRZ 2036
Lily trat auf den Laufgang des Promenadendecks hinaus. Es war halb acht Uhr morgens, ein grauer, bewölkter Tag.
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