Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
worden.«
»Korridore?«, fragte Piers.
»Wir haben den Flüchtlingen sicheres Geleit durch Nepal zu höher gelegenem Gelände gewährt, zu den Übergangsstellen nach Tibet. Nepal war schon immer ein Handelsknotenpunkt zwischen Indien und Tibet.«
Piers runzelte die Stirn. »Und dann? Was ist aus den Flüchtlingen geworden?«
»Ähm …« Deuba breitete die Hände aus und lächelte. »Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der ordnungsgemäß konstituierten Regierung in Tibet.«
Es fiel Lily schwer, den Nebel zu zerteilen, den Deuba mit einem Auftreten und seinen Worten schuf, und die Zusammenhänge zu überdenken. »Das muss jahrelang so gegangen sein. Ganze indische Provinzen haben sich durch Ihr Land entleert. Das hat doch bestimmt seinen Tribut gefordert.«
»O ja«, sagte Deuba leichthin. »Es begann mit Hungeraufständen - all diese Menschen mussten ja ernährt werden, solange sie sich auf unserem Territorium befanden -, und es kam sogar zu einer Revolution bei uns. Vielleicht haben Sie davon gehört. Den maoistischen Rebellen, die im Bergland jahrzehntelang ihr Unwesen getrieben hatten, gelang es, die allgemeine Unruhe zum Sturz der Regierung zu nutzen. Jetzt dürfen wir uns langatmige Vorträge über die Weltanschauung des großen Führers anhören. Ansonsten hat sich jedoch wenig geändert. Die Maoisten haben die alten Staatsdiener
und rangniedrigen Minister im Amt belassen und fahren in ihren Regierungslimousinen herum. Sie haben sogar die Monarchie beibehalten, das Symbol der Nation. Aber es ist ihnen gelungen, einen produktiven Dialog mit ihren Amtskollegen jenseits der tibetischen Grenze zu pflegen, mit denen sie so etwas wie eine gemeinsame Ideologie verbindet. Und am Ende ist der Flüchtlingsstrom aus Indien natürlich versiegt, obwohl immer noch ein paar Nachzügler kommen, auf der einen oder anderen Route.«
»Wie wir«, sagte Piers grimmig.
»So ist es. Nathan, mein Freund, wir haben in der Vergangenheit gute Geschäfte gemacht. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich Ihnen diesmal nicht helfen kann. Ich weiß genau, wie die Antwort der Regierung lauten wird. Sie wird Sie nicht einfach abweisen, sondern eine Quote festlegen. Sagen wir dreihundert, also zehn Prozent. Die fähigsten Ihrer Ärzte und Ingenieure und so weiter. Sie werden an Land willkommen geheißen. Allerdings keine Kinder, von denen haben wir genug. Alle anderen müssen abreisen.«
»Ihr würdet euch die Rosinen aus meiner Crew herauspicken und mir sagen, ich soll mich verpissen? Was für ein Geschäft soll das denn sein?«
Deuba schüttelte traurig den Kopf. »Nicht meine Konditionen, mein Freund. Die meiner Regierung. Unser Land ist voll.«
Lammockson beherrschte sich. »Nun hören Sie mal, Prasad. Das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie spielen hier doch nur mit harten Bandagen, stimmt’s? Also, falls Sie irgendwas brauchen …«
Deuba setzte eine fast schon mitleidige Miene auf. »Schauen
Sie sich um. Was könnte ich wohl von Ihnen haben wollen?«
Lammockson stand auf. »Na schön. Wie wär’s dann mit einem Transit zur tibetischen Grenze?«
»Das ließe sich bestimmt arrangieren.«
»Was würde das kosten?«
»Eine Zollgebühr. Keine ruinöse. Ich fürchte, Sie werden die Strecke hauptsächlich zu Fuß zurücklegen müssen. Ich kann natürlich Träger und so weiter anheuern, an Gelegenheitsarbeitern herrscht bei uns kein Mangel. Aber Sie werden vorausreisen und die Grenzformalitäten selbst regeln müssen.«
Lily berührte Lammockson am Arm. »Ist das wirklich eine gute Idee, Nathan?«
»Es ist eine Option«, sagte er, sichtlich bemüht, sich zu beruhigen. »Wenn wir mit diesem Haufen hier nicht ins Geschäft kommen, dann vielleicht mit den Chinesen.«
Deuba machte eine beschwichtigende Geste. »Streng genommen ist die tibetische Regierung nicht mehr chinesisch … Es wird vierundzwanzig Stunden dauern, die Reise zu organisieren. Bitte seien Sie in der Zwischenzeit meine Gäste. Um der Freundschaft willen.«
Lammockson starrte ihn wütend an. Dann lenkte er ein wenig ein. »Ach, zum Teufel. In Ordnung. Ich muss sowieso aufs Klo, mich duschen und rasieren. Aber eins sage ich Ihnen, Prasad, ich habe Ihr Nein noch nicht akzeptiert. Wir sind anständige, wohlhabende, gesetzestreue Menschen, die ein Gewinn für Ihr Land wären.«
»Da bin ich mir sicher«, erwiderte Deuba gewandt. »Wenn es doch nur in meiner Macht stünde, dafür zu sorgen, dass
Sie hier Fuß fassen. Aber zunächst einmal … kommen Sie. Ich zeige
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