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Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood

Titel: Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Ihnen Ihre Zimmer.«
    Piers und Lily standen unsicher auf. Lily fand es demütigend, dass Deuba ihr Ansinnen von vornherein abgelehnt hatte. Demütigend und erschreckend.
    Sie folgten Deuba, begleitet von seinen Handlangern.

80
    Bevor sie am nächsten Morgen aufbrachen, kam Lammockson zu jedem Mitglied der Gruppe und vergewisserte sich, dass sie Strahlenschutzpillen aus der Apotheke der Arche eingenommen hatten. Es war nicht gerade aufmunternd, derart begrüßt zu werden, dachte Lily.
    Ein weiterer von Prasad Deubas aufgeweckten jungen Männern, der chinesischer Herkunft zu sein schien, wurde mit der Aufgabe betraut, sie zur tibetischen Grenze zu führen. Die ersten paar Stunden fuhren sie. Dann, allzu bald für Lily, war die Straße zu Ende, und die Gruppe brach zu Fuß auf, die drei von der Arche, ein paar AxysCorp-Leibwächter, Deubas Führer und eine Handvoll Gepäckträger, drahtige junge Sherpas, die riesige Bambuskörbe mit Hilfe über die Stirn laufender Riemen trugen.
    Der Weg führte stetig bergauf, Stunde um Stunde, nur unterbrochen von kurzen Abstiegen in grüne Täler, auf die frustierenderweise immer weitere Aufstiege folgten. Lily hatte sich auf dem Schiff in Form zu halten versucht, indem sie ihre täglichen Kilometer mit Piers auf dem Promenadendeck absolvierte und Stunden an den Kraftmaschinen und auf den Laufbändern verbrachte. Aber schon nach einem halben Tag dieses ewigen Aufwärtsstapfens traten die Grenzen ihrer Fitness deutlich zutage, und ihre Beine, ihr
Rücken und ihre Lungen schmerzten, was ihr ins Gedächtnis rief, dass sie immerhin einundsechzig Jahre alt war. Lammockson war mit seinen siebenundsechzig Jahren der Langsamste der Gruppe und konnte nicht einmal seinen eigenen Rucksack tragen. Aber er wollte aus reiner Sturheit nicht aufgeben.
    Und immer schwebten vor ihnen, hinter dem Horizont, die schimmernden Gipfel des Himalaja, wie ein Traum.
    Lilys Sherpa hieß Jang Bahadur. Er war um die dreißig, sah gut aus und machte einen kräftigen und zufriedenen Eindruck. Er hatte ein weißes Tuch um den Hals gebunden und trug mühelos einen gewaltigen Korb voller Kleidung, Zeltausrüstung und Proviant. »Früher war ich Anwalt«, sagte er. »Mein Spezialgebiet war Patentrecht. Jetzt kann ich zwölf Stunden lang ohne Pause vierzig Kilogramm tragen. Meine Professoren würden es nicht glauben!« Er sprach mit einem starken Akzent, in dem ein indischer Dialekt anklang, den Lily nicht kannte.
    »Ich bin gespannt, wann ich höhenkrank werde«, bemerkte sie.
    Jang schüttelte den Kopf. »Unwahrscheinlich heutzutage, sofern Sie nicht die Berge selbst besteigen. Dank der Flut haben wir effektiv einen Kilometer Höhe verloren, und die Atmosphäre ist nach oben verschoben worden. Kathmandu hat einmal vierzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel gelegen, wissen Sie. Jetzt sind es nur noch vierhundert Meter - so gut wie nichts. Tatsächlich bereitet uns nicht die Höhenkrankheit Probleme, sondern die Tiefland krankheit. Jedenfalls der älteren Generation, meinen Eltern zum Beispiel. Wenn sie ans Meer heruntergekommen sind, fanden
sie die Luft viel zu dick, zu sauerstoffreich für ihr Blut, wie eine umgekehrte Höhenkrankheit. Meine Mutter hat immer gesagt, sie könne nicht schlafen, wenn die Luft wie eine erstickende Decke auf ihrem Gesicht liege. Man kann sich akklimatisieren, aber es braucht seine Zeit. Jetzt ist es sogar im Haus meiner Eltern so, überall dicke Luft.«
    »Nicht jeder kann sich anpassen.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Die Alten sterben. Meine Eltern sind gestorben. Und in der Natur ist es dasselbe.« Er zeigte auf die Berge am Horizont. »Das Meer steigt und treibt Lebenszonen vor sich her, hinauf in immer größere Höhen, bis sie schließlich über die Gipfel der Berge hinausgetrieben werden und verschwinden müssen, weil sie nirgends mehr hinkönnen. Es ist ein Massenaussterben, das wir erleben, eine Gebirgskatastrophe.«
    Sie sah ihn an. »Sie verstehen eine ganze Menge.«
    »Für einen Sherpa?«
    »Für einen Anwalt, wollte ich sagen.«
    Er lächelte. »Nun, die meisten meiner Kunden legen keinen großen Wert darauf, sich mit mir zu unterhalten. Beim Laufen habe ich jede Menge Zeit zum Nachdenken.«
     
    In dieser Nacht schliefen sie unter Sternen, in einer so frischen und klaren Luft, wie Lily sie schon lange nicht mehr geatmet hatte.
    Am nächsten Tag erreichten sie eine pittoreske Brücke über ein tiefes Tal, die sogenannte Freundschaftsbrücke, den einzigen verbliebenen

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