Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
und ich auch. Herrgott noch mal, ich bin fünfundsechzig Jahre alt.«
»Ich auch.« Lily begann, einen Verband abzuwickeln.
»Sei vernünftig, Lily. Das ist übrigens ein Befehl.«
Lily rang sich ein Lachen ab. »Seit Barcelona nehme ich keine Befehle mehr von dir entgegen.«
»Bitte. Tu’s für mich.«
Sie zögerte. Dann schob sie Lammockson mit einem Nicken den Kasten hin. Außerhalb von Piers’ Blickfeld bereitete er verstohlen eine Morphiumspritze vor.
»Was ist mit dem Schiff, mit der Besatzung?«, fragte Piers mühsam.
»Wir haben die Arche verloren.« Lily blickte auf. Das Meer wimmelte von orangefarbenen Rettungsbooten. Die schäbiger aussehenden Fahrzeuge der Angreifer glitten wie die Rückenflossen von Haien durch die Menge, und überall gab es kleine Scharmützel. Aber Lily sah, dass die Angreifer einer nach dem anderen den Rückzug antraten, und die Überlebenden der Arche zogen ihre Boote mit Hilfe von Plastikseilen näher zusammen. Die Arche selbst sank in einer blubbernden Öllache.
»Ich schätze, wir haben die meisten herausgeholt. Momentan kann man sie unmöglich zählen.« Lammockson stach Piers die Spritze durch die Hose ins Bein. Piers schien es nicht zu spüren. Zur Tarnung sagte Lammockson: »Wir zählen sie später, wenn die Arschlöcher, die das getan haben, das Gewünschte bekommen und sich verpisst haben. Ich hoffe, sie sind stolz auf sich. Sie haben ein verdammtes Schiff auf den Meeresboden geschickt, inklusive Atomreaktor und allem. Was für eine verdammte Verschwendung! Ein Schiff, das noch Jahrzehnte hätte halten können, und alles wegen ein paar Brocken Holz, Stahl und Kunststoff, damit sie mehr aus ihren beschissenen kleinen Flößen machen können.«
»Die Amerikaner«, flüsterte Piers. »Das U-Boot. Konnten sie uns nicht helfen?«
»Sie wollten nicht«, antwortete Lily. »Thandie Jones hat mit dem Kapitän gesprochen.«
»Die halten sich aus Kämpfen raus«, sagte Lammockson. »So bleibt man am Leben, ein sinnloses Jahr auf See nach dem anderen. So viel zur US Navy. Tja, was passiert ist, ist passiert. Ich wusste immer, dass der Tag kommen könnte, an dem wir die Arche verlieren würden. Jetzt ist es Zeit für die nächste Phase, das ist alles.«
»Was für eine nächste Phase?«, fragte Kristie.
Lammockson machte eine Handbewegung zu dem Abfallteppich. »Flöße. Überleben auf dem offenen Meer. Und die Rohstoffe, die wir dazu brauchen, warten gleich da drüben auf uns.« Er zeigte zur Arche. »Wir haben immer dafür gesorgt, dass das Zeug einfach wegtreiben würde, falls wir das Schiff plötzlich verlieren sollten. Ich rede von Seetang.
Von Algen, die die Jungs in den Laboren der Arche genetisch manipuliert haben. Aus Seetang gewinnt man Algin, das heißt Alginsäure, und daraus kann man Emulsionen und Fasern machen … Baustoffe für Flöße, die aus dem Meer wachsen, man muss den Tang einfach nur dort schwimmen lassen. Ihr werdet schon sehen.« Er stand auf, und das Floß schaukelte ein wenig. »Aber jetzt müssen wir erst mal wieder zurück. Komm, mein Junge.« Er marschierte davon, arbeitete sich über die Ansammlung der Flöße voran, zurück zum Zentrum der verstreuten Schiffe, dem Friedhof seiner Arche. Hammond folgte ihm widerstrebend; der Schmerz in seiner Schulter ließ ihn zusammenzucken.
»Die haben unser Wasser verschwendet«, sagte Kristie. »Jetzt haben wir keinen Tropfen mehr auf diesem verdammten Floß.«
»Es gibt bestimmt bald wieder Wasser«, erwiderte Lily, aber sie war sich nicht sicher. »Vielleicht regnet es.«
»Kein Regen heute«, murmelte Piers. Seine Augen waren groß, die Pupillen geweitet, er starrte zum Himmel hinauf. »Weißt du noch, wie es geregnet hat, als wir aus der Gruft unter dieser Kathedrale rausgekommen sind, wie es in London geregnet hat …«
»Ja, ich weiß es noch.«
Kristie griff nach dem Verbandskasten, schloss ihn und verstaute ihn wieder in dem Fach mit dem Reißverschluss. Piers legte den Kopf schräg und beobachtete sie. Er hob sogar den Arm und streckte die Hand nach ihr aus.
»Komm schon, Kris«, flüsterte Lily. »Halt einfach seine Hand, nur für einen Moment.«
Aber Kristie drehte das Gesicht ihres Sohnes von dem Sterbenden weg.
Piers hielt noch den Rest des Tages durch, bis in die Nacht hinein.
Als das Licht schwand, klagte Manco über Hunger und Durst, schlief jedoch schließlich ein. Kristie behielt ihn im Schatten der Abdeckung, und bald war es so dunkel, dass Lily keinen der beiden mehr
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