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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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halten, kann ein denkender Mensch für Adam nur viel Mitgefühl aufbringen. Der Vater der Menschheit war notgedrungen auch der Vater der Diplomatie gewesen. Doch sosehr er sich auch bemüht hatte, alles war misslungen.
    Während Noahs trübster Tage an Bord der Arche dachte er viel und oft über seinen illustren Ahnen nach. Schließlich teilten sie – historisch gesehen – dieselbe Verantwortung, nämlich: das Überleben der Menschheit; die Unterwerfung der Natur; die Herstellung von Recht und Ordnung. Von der Kriegsführung innerhalb der eigenen Familie ganz zu schweigen. Dreimal hintereinander hatte Adam das Experiment neu begonnen und dreimal hatte er mit nichts anderem als mit seiner eigenen Entschlossenheit, seiner Genialität und mit seiner Beziehung zu Gott angefangen. Einmal, nachdem Jahwe ihn aus dem Staub Edens zusammengeschustert hatte – noch einmal vor den Toren des Paradieses und – das letzte Mal – nach Abels Tod.
    Im Garten: die Benennung der Tiere – die entsetzliche Einsamkeit – die Geburt Evas und die Prüfung der Versuchung. Scheitern. Nach Eden: das Umgraben steinigen Bodens – die Ablehnung durch Lilith – die Gründung einer Familie – und Kains Steine. Scheitern. Doch es gab Hoffnung, als nach Abels Ermordung Seth geboren wurde – nach Evas Sündenfall die Frauen sich unterordnen mussten – und, nachdem Adams Söhne sich mit Menschen gepaart hatten, die Söhne Gottes geboren wurden. Aber zum Schluss waren die Riesen der Korruption erschienen, und die Anbetung Baals und Mammons wurde stärker – ein Zeichen für das endgültige Aus.
    Scheitern.
    Es sah so aus, als ob – ganz gleich, welche Entscheidungen getroffen wurden, ganz gleich, welche Vorgehensweise befolgt wurde – das Scheitern – trotz gewisser Erfolge – unausweichlich sei. Und ganz gleich, wie oft Noah das Deck unter seinem Regenschirm umrundete – wobei er um neue und andere Antworten rang – die Antworten waren immer die gleichen: Jede Geburt sagt einen Tod voraus: In jedem neuen Anfang liegt die Saat des Untergangs. Eva und die Äpfel – Kain und Mord – die Riesen und die Korruption. Die Menschheit und der Regen.
    Und für den jetzigen Neubeginn – mit dem Symbol der Arche – war Noah zum Verwalter ernannt worden. Und in dieser Funktion hatte er die Saat des Untergangs bereits sprießen sehen: an seiner Frau; an Ham und Luci. Diese drei waren im Inneren der Arche schon am Werk – sie verbreiteten Widerstand gegen das Edikt – unterschieden zwischen dem Willen Jahwes und dem bloßen Willen der Menschen.
    Doch ihre Absichten durften sich nicht erfüllen. Das hatte Noah sich geschworen. Es musste ihm nur gelingen, seine Macht über die anderen aufrechtzuerhalten.
    Dieses Mal: Erfolg. Dieses Mal: Herrschaft, durch welche Mittel auch immer. Dieses Mal würde der Wille Gottes siegen, koste es, was es wolle.
    Eines Tages, als er tief deprimiert auf dem Deck herumspazierte, sprach Noah viele Gebete. Warum gerieten die Kinder der Mächtigen immer so schlecht? Er besaß keinen Sohn, den er lieben konnte. Ham – der allerschlimmste – war ein Rebell und Unzufriedener, der unter seinem Niveau geheiratet hatte – irgendeine Kurtisane, hinter deren gepudertem Gesicht und weiß behandschuhten Händen sich boshafte Täuschung – und sogar Verrat – verbargen. Japeth – blau und gefährlich – war mit seinen Waffen zu etwas nütze, das war aber auch alles. All seine Gedanken kreisten nur mehr um Sex und Sinnliches – sein ganzes Auftreten hatte etwas Animalisches und sein ganzes Leben bestand nur noch aus Schmollen und Faulenzen. Und es kam noch schlimmer: einen furchtbaren Gedanken konnte Noah nie unterdrücken, wenn er an Japeth dachte: Du kannst kein Affe sein und von Gott kommen! Und doch ist er mein…
    Mit der ganzen Schwere seiner Verzweiflung fiel Noah gegen die Reling und weinte vor Zorn. Sem – der Ochs –, dessen ganze Existenz nur ein Vorwand für Kraft und brutale Gewalt war. Der kaum über Worte verfügte… dessen Pflichtgefühl seinem Vater gegenüber so pflichtbewusst war, dass Noah fast wünschte, es würde einmal platzen und wenigstens ein einziges Widerwort hervorbringen – ein kleines Nein, das zeigen würde, dass überhaupt jemand in ihm steckte, ein denkendes Wesen!
    Denken. Denken. Muss ich denn allein für alle denken?
    Ja. Es war nur allzu deutlich. Und ohne Hannah würde er vor Einsamkeit verrückt werden. Wenn nur Jahwe zurückkäme. Wenn Er nur sprechen würde – wenn Er

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