Die letzte Flut
Erscheinung zerstören – darauf schaute er etwas verlegen seine Mutter und seinen Bruder und Luci an und sagte: »Es tut mir Leid…«
Dann machte er kehrt und ging durch die Tür. Dabei wurde einen Augenblick lang Schnee ins Innere geweht, die Treppe hinunter und am Boden entlang bis zu Mrs Noyes’ Füßen. Sie schaute noch einmal zu dem kleinen Fleck Himmel da oben und plötzlich war die Finsternis da, mit einem lauten Knall – und dem Lärm von Hämmern und Nägeln und Ketten.
In dieser Finsternis kam Mottyl an, stellte sich neben Mrs Noyes’ und jammerte, während Luci die Seile von Hams und Mrs Noyes’ Handgelenken löste.
Mrs Noyes erschrak.
»Du hättest dein Nest niemals verlassen dürfen, solange Japeth unterwegs war«, sagte sie. »Das habe ich dir schon so oft gesagt.«
Aber Japeth war nicht das Problem.
Das Problem war Mottyls und Mrs Noyes’ Lieblingskätzchen, Silber.
Die ganze Zeit, während die Revolutionäre sich oben auf Deck befanden, war die Tür offen gewesen, und in diesen Stunden war Silber verschwunden.
Noah saß am großen langen Tisch im Salon und wartete darauf, dass Hannah ihm eine Schüssel mit heißem Haferflockenbrei brachte. Er hatte sich bei seinem Abenteuer mit dem – wie er immer noch behauptete – Enterkommando »unter der Führung eines rothaarigen Seeräubers« verkühlt. Aber er war auch in Hochstimmung und plapperte, ohne Zähne, vor sich hin, während Schwester Hannah beim Zubereiten seines Breis in der Kombüse herumwerkelte.
Japeth und Sem waren währenddessen damit beschäftigt, die großen Doppeltüren zu den unteren Decks zu versiegeln – sie machten sie mit Stangen und Ketten dicht und bretterten sie mit in X-Form angebrachten und mit riesigen Eisennägeln befestigten Balken zu.
Sarah saß bereits auf Noahs Schoß, aber Abraham war – zumindest im Augenblick – abwesend. Wahrscheinlich verrichtete er seine Notdurft in der Kiste mit Sägemehl, die im Durchgang vor den Latrinen stand.
Noahs hölzerne Zähne lagen auf seinem Taschentuch vor ihm; erst zwei Tage zuvor waren sie frisch geweißt worden, und so sahen sie einerseits fast erschreckend jugendlich, andererseits wie der letzte übrig gebliebene Rest eines menschlichen Schädels aus.
»Was für ein Schiff hatten sie?«, fragte er. »Einen Dreimaster? Zwei? Als Rahsegler getakelt oder mit Klüver?«
Hannah antwortete nicht, obwohl sie ihn hörte. Am besten, man ließ ihn faseln. Man fütterte ihn und steckte ihn ins Bett – schaute nach, dass er schlief, und betete, dass sein Geist beim Träumen klar würde.
»Es gibt kein Piratenschiff auf den sieben Weltmeeren, das wir nicht in der Lage sind zu besiegen«, sagte Noah. »Glaub mir! Mit Jahwe auf unserer Seite – kann nichts und niemand uns schlagen! Nicht einmal dieser Sturm kann uns schlagen, sag ich dir. Jahwe hat versprochen…«
Plötzlich machte die Arche einen Ruck, der die Laternen herumwirbelte und Noahs Zähne zu Boden fliegen ließ, in der Kombüse knallten einige Töpfe herunter. Noah wurde fast vom Stuhl geschleudert – und Sarah, die nach dem Nächstbesten griff, das sie würde retten können, erwischte mit ihren Krallen den Handrücken des alten Mannes, was Noah kaum zu merken schien – vielleicht wegen des wilden Durcheinanders von Möbeln und Lampen um ihn herum.
Sein erster Gedanke war, dass Jahwe vielleicht Seine Gegenwart kundtat. Welch bessere Art könnte Er bedenken, um erneut in ihr Leben zu treten, als die Arche in Seine Hände zu nehmen und sie zum Gruß zu schütteln?
Als Hannah hereinkam, um nach ihm zu schauen, fand sie ihn auf allen vieren, er suchte auf dem Boden nach seinen Zähnen.
»Hat es Sie hingeworfen?«, fragte sie. »Sind Sie verletzt?«
»Ich bete«, sagte Noah. »Bete. Hast du es nicht gemerkt? Jahwe hat gerade zu uns gesprochen…«
Hannah wagte nicht darauf einzugehen – sie wusste genau, dass nur der Sturm die Arche durchgerüttelt hatte, doch ebenso genau wusste sie, dass Noah es nie akzeptieren würde, wenn sie sagte, nicht jede Geste komme von Gott.
Noah hatte seine Zähne gefunden und ließ sie im Ärmel verschwinden.
»Hilf mir aufzustehen!«, sagte er.
Hannah half ihm auf die Füße und setzte ihn wieder auf seinen Stuhl.
»Jetzt hole ich Ihre Haferflocken«, sagte sie und ging zur Kombüse zurück.
»Wo ist das Kind, das wir haben?«, rief Noah ihr zu.
Schweigen.
»Schwester Hannah? Tochter?…«, rief Noah.
Hannah stand wie versteinert da, den Breitopf in der Hand
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