Die letzte Flut
war, stand Luci wieder auf und ging ganz bereitwillig – fast sanftmütig – auf ihren Platz neben Mrs Noyes und Ham zurück.
Als Japeth sich schwankend auf die Knie erhob, war er überzeugt, dass er nie wieder würde sehen und hören können. Aber das, was Luci bewirkt hatte, hatte nichts mit Blindheit, nichts mit Taubheit zu tun. Sie hatte einen Fluch besiegelt: dass Japeth sein Lebtag keinen einzigen Augenblick Ruhe vor seinem Fleisch haben sollte. Die Wunde, die seine Wölfe ihm beigebracht hatten, sollte für immer schwären. Und keine Wunde, die er sich in einer künftigen Auseinandersetzung mit einem Feind – ob Mensch oder Tier – zuziehen würde, sollte jemals heilen. Er würde fortan nach jedem Tod riechen, den er zufügte, und als Beweis dafür roch er schon jetzt nach Feuer, da er vier Dämonen ermordet hatte.
Sem, der sich inzwischen vom Schock, den Hannahs Erscheinung ausgelöst hatte, erholt und erkannt hatte, dass er nicht sterben würde, ging zu Japeth hin und befreite ihn von den Ketten um die Handgelenke – die winselnden Wölfe schob er beiseite.
Hannah stand neben Noah und hielt den schwarzen Regenschirm über den alten Mann. Die Enden ihres Tuchs hatte sie um den Hals geschlungen und den Stoff vor Mund und Nase gezogen, so dass nur ihre Augen sichtbar waren. Ihr Blick war zu Boden gerichtet.
Noah spähte durch den Schnee zu Luci hinüber, als wäre sie eine Erscheinung (Jahwe? …), und er fragte: »Wer ist dieser Mann?«
Sem sagte: »Es ist kein Mann, Vater. Es ist Luci. Lud – Hams Frau.«
»Das ist ein Mann«, sagte Noah. »Glaubst du nicht, dass ich einen Mann erkenne, wenn ich einen sehe?«
Sem schaute Hannah an. Es war eindeutig: Entweder sein Vater hatte Halluzinationen, oder er war völlig senil geworden.
»Ich erlaube mir anderer Meinung zu sein, Vater«, sagte er mit einer Förmlichkeit, die von Angst und Erschöpfung rührte. »Vielleicht täuscht das Licht nur… der Schnee… die späte Stunde.«
»Das ist ein Mann«, sagte Noah.
Hannah berührte den alten Mann an der Schulter. »Kommen Sie, Vater Noyes«, sagte sie. »Sie müssen wieder ins Bett. Sie holen sich hier draußen den Tod.«
Noah drehte sich um. »Es ist ein Mann«, sagte er, jetzt ruhiger.
»Ja, ja«, sagte Hannah; sie fasste ihn am Ellbogen um ihn zum Kastell zu führen. »Wahrscheinlich ist es ein Mann. Sie haben Recht.«
»Wieder ein Enterkommando…«
»Ja. Ja.«
»Piraten.«
»Ja.«
»Aber wir haben wieder gewonnen – nicht wahr?«
»Ja. Wir haben gewonnen. Wieder. Jetzt müssen Sie ins Bett.«
»Willst du…? Wirst du…?«
»Ja. Ich bleibe bei Ihnen, bis Sie eingeschlafen sind.«
Am Eingang zum Kastell drehte sich Noah noch einmal halb um und sagte zu den anderen: »Kümmert euch um sie!«
»Ja, Herr Vater«, sagte Sem.
Japeth sagte nichts.
Noah ging ins Kastell hinein und Hannah machte den schwarzen Schirm zu, schüttelte ihn, folgte ihm hinein und schloss die Tür.
Während der Schnee weiter fiel, kam zusätzlich Wind auf. Bei Tagesanbruch befand sich die Arche in der Gewalt eines regelrechten Blizzards. Es war vielleicht der heftigste Sturm, mit dem sie seit dem Ablegen zu kämpfen hatten.
Japeth und Sem trieben die Gefangenen unter Deck und Sem stand mit den Wölfen Wache, während Japeth in allen drei unteren Decks die Runde machte, wobei er sämtliche Laternen zertrümmerte und alle Kerzen in einen Sack warf.
»Ab jetzt gibt es für euch kein Licht mehr«, sagte er. »Ihr werdet in fortwährender Finsternis leben, bis wir an Land kommen.«
Als er den Stall erreichte, packte er mehrere Lämmer, schlang ein Seil um ihre Hinterbeine und ließ sie nebeneinander über seinen Rücken herunterhängen; mit gezücktem Schwert stieg er dann mit den Lämmern und dem Sack voller Kerzen die Treppe hinauf.
»Diese Tür wird auf eine Art versperrt werden, die ihr niemals mehr überwinden könnt«, sagte er. »Kann sein, dass ihr verhungert; kann sein, dass wir verhungern«, fügte er hinzu, »aber wir werden zumindest nicht im Finstern verhungern.«
Und weg war er; gefolgt von Sem mit den Wölfen.
Als Sem oben ankam, wirkte er mit seiner makellosen Kleidung, den beiden riesigen Wölfen zu seinen Füßen und dem Schnee, der um ihn herumwirbelte, völlig fehl am Platz. Vielleicht war er sich der Unangemessenheit seines Aufzuges bewusst, denn er schaute nach unten und zupfte so lange an seinem Nachthemd, bis es unordentlich herunterhing, als wolle er absichtlich seine korrekte
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