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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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angst und bange. Seine Mutter schien einzuschlafen – und von all den Winternächten, in denen er vom Zedernhain aus die Sterne beobachtet hatte, wusste er, dass Schlaf und Schnee eine tödliche Verbindung sein können. Er hatte einige Tamarins auf diese Weise sterben sehen – Ichneumone, Wombats und andere Tiere, die sich im Wald hätten befinden sollen, sich aber auf den Berg verirrt hatten und dort im Schneesturm stecken blieben. Jetzt hätte er seine Mutter gerne gewarnt – ihr zugerufen –, doch er hatte Angst davor, die Aufmerksamkeit auf Luci zu lenken, deren Handgelenke sich jetzt jeden Augenblick von ihren Fesseln freibrennen konnten – dann wäre sie vielleicht in der Lage, alle loszubinden und seine Mutter wiederzubeleben.
    Japeths Wölfe versetzten Ham in Angst und Schrecken. Sie rochen die brennenden Seile und konnten nicht still sitzen – und endlich verhedderten sie sich so sehr, dass sie sich einfach hinsetzten und heulten.
    »Hört auf damit!«, sagte Noah.
    »Hört auf damit!«, sagte Japeth.
    »Hört womit auf?«, fragte Mrs Noyes, die mit einem Schlag wach wurde – und sich so heftig aufrichtete, dass der ganze Schnee, der auf ihr lag, wie ein Kleidungsstück von ihr abfiel.
    Die Wölfe heulten weiter und ihr Geheul zog Hannah, in weiße Decken gehüllt, zur Tür des Kastells. Sie war offensichtlich aus dem Schlaf gerissen worden und zunächst noch verwirrt. Als sie jedoch sah, dass es schneite und begriff, was sich hier abspielte, zog sie sich ins Innere zurück, wo eine Laterne brannte.
    »War das Emma?«, fragte Mrs Noyes.
    »Nein, Mama«, sagte Ham – mit leiser Stimme. »Und versuch nicht, die Aufmerksamkeit hierher zu lenken!«
    »Warum nicht?«, fragte Mrs Noyes. »Ich will Aufmerksamkeit. Mich friert hier – dich nicht?«
    »Ja, aber…«
    Da rief Mrs Noyes Sem zu: »Komm augenblicklich hierher und binde deine Mutter los!«
    Aber der Ochs rührte sich nicht von der Stelle. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sein Gewand anders zu richten, damit der Schnee nicht in sein Hemd fiel.
    Endlich befreite sich Japeth aus dem Wirrwarr der Wolfsketten – er hob zuerst ein Bein an und dann das andere – und die Ketten waren noch um sein rechtes Handgelenk und den Unterarm gewickelt.
    Noah fragte: »Was ist das?«
    »Was?«, fragte Japeth.
    »Da drüben. Da drüben…« Noah zeigte ungefähr in die Richtung der Gefangenen – und gleichzeitig versuchte er seine Decke festzuhalten. »Rauch…«, sagte er.
    Japeth schaute hinüber.
    Hinter ihnen erschien Hannah – sie ging arglos weiter und hielt den schwarzen Regenschirm über sich.
    Plötzlich hob Luci den Kopf, rief: »Passt auf!«, und streckte blitzschnell ihren Arm nach Japeth und Sem und Noah aus – die sich allesamt in einer Reflexbewegung umdrehten, als befürchteten sie, der Himmel würde gerade hinter ihnen einstürzen.
    »Passt auf!«
    Sem zog seinen Umhang vors Gesicht, da er Hannah für den Todesengel hielt – sie war ja ganz weiß unter dem schwarzen Etwas –, und da ertönte ein gedämpfter Schrei hinter seinem Arm. Noah musste mehrmals hinschauen um zu erkennen, wer da war – doch Japeth bekam keine Gelegenheit, länger als den Bruchteil einer Sekunde etwas zu sehen.
    In dem Moment, als er sich umdrehte und genau dann, als sie zum zweiten Mal »Passt auf« schrie, stürzte sich Luci auf Japeth – ungeachtet der Wölfe – und warf ihn aufs Deck.
    Ham dachte – wenn sie nur mich zuerst befreit hätte!
    Aber wie sich herausstellte, versuchte Luci gar nicht den Aufstand fortzuführen. Sonst hätte sie tatsächlich nicht nur Ham, sondern auch Mrs Noyes befreit. Im Augenblick wollte sie nur Japeth – und die Gelegenheit, den Tod ihrer Dämonen zu rächen.
    Japeth wusste gar nicht, wie ihm geschah. Er wusste nur, dass seine Wölfe sich gegen ihn gewandt hatten und seine Beine und Füße mit ihren Zähnen aufschlitzten – während irgendeine andere Kreatur (wer hätte ahnen können, dass es Luci war?) auf seinen Schultern saß und seine Arme mit den Knien am Boden festnagelte. Und ein großer bronzener Handteller legte sich auf sein Gesicht und erstickte ihn, während die Schwimmhäute und die Finger dieser riesigen Hand sich wie ein Kohlblatt um seinen Kopf wickelten und die Fähigkeit zu hören und zu sehen ganz ausschalteten, und er fühlte, wie ein entsetzlicher brennender Schmerz, den er nicht identifizieren konnte, durch seinen ganzen Körper fuhr.
    Eine Rettungsaktion war nicht nötig.
    Sobald ihre Aktion beendet

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