Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
Vom Netzwerk:
dann auf den Tisch – wo er das Ding, mit gebrochenem Genick und tot, ausbreitete, damit Noah es besichtigen konnte.
    Abraham setzte sich vor seine Beute hin.
    Noah wurde von den Toten weniger eingeschüchtert als Schwester Hannah. Sie wich zurück – aber er machte einen Schritt nach vorn – streckte schon seine Finger aus.
    »Es ist ein silbernes Kätzchen«, sagte er – jedes Wort mit höchster Verwunderung dehnend.
    Dann sah er – mit wahnsinnigem Blick: der Gedanke an ein Wunder schien in seinem Hirn aufzublühen – Hannah über den Tisch hinweg an.
    »Wessen Kätzchen kann das sein«, fragte er, »außer Gottes? War Sarah trächtig? Niemals. Und haben wir andere Katzen mit an Bord?« Er deutete mit seinem Arm durchs Zimmer. »Keine – nirgends! Wessen Kätzchen ist das also? Wessen Kind ist das?«
    Er starrte das Tier an – es war vollkommen, wie es so vor ihm aufgebahrt lag.
    »Ein Wunder«, flüsterte er. »Ein wahrhaftiges und absolutes Wunder …« Er fiel auf die Knie – hielt den Tisch dabei mit beiden Händen fest und berührte die Tischplatte dreimal und wieder dreimal mit der Stirn. »Oh, alle Namen Gottes…«, betete er, »oh, jeder Name von allen zehntausend – hört mich – seht mich – bezeugt meine Dankbarkeit! Bezeugt auch, wie ich den Eigentlichen Namen übertöne…« Hier trommelte Noah in rasenden Schlägen mit den Fäusten so auf den Tisch, dass Hannah um seine Hände fürchtete. Aber sie hörte den Eigentlichen Namen nicht, konnte ihn nicht hören, den Namen, den zu vernehmen allen außer Jahwe selbst verboten war – als Noah ihn in seiner rasenden Ekstase aussprach – und er drückte und drückte immer wieder seinen Kopf an den Rand des Tisches, dort, wo die Leiche des silbernen Kindes lag.
    Hannah konnte nicht anders und fiel ebenfalls auf die Knie, denn der fanatische Glaube, der Doktor Noyes beseelte, überzeugte sie, dass es sich nur um ein Wunder handeln konnte – denn Sarah war gewiss nicht trächtig gewesen – und keine andere Katze befand sich in der Arche – und Männchen gebären nicht oder pflanzen sich durch Teilung fort…
    Was konnte es sonst sein?
    Was konnte es sonst sein?
    Was konnte es sonst sein?
    Drei-mal-drei. Ein Wunder.
    Was Abraham bestätigte, indem er sich vor das silberne Kätzchen legte und es nicht anrührte. Nicht einmal den Kopf.
    Das Verschwinden des kleinen silbernen Männchens hatte in den unteren Decks eine große Suchaktion ins Leben gerufen. Krähe und Mottyl fragten jedes einzelne Tier in jedem einzelnen Käfig und Verschlag, ob das Kätzchen gesichtet worden war, und Mottyl rief in jede Rinne und in jeden Abfluss nach ihm. Auch an den meistgefürchteten Stellen rief sie nach ihm – den Zisternen, den Latrinen und den Regentonnen.
    Währenddessen nahm der Sturm an Stärke zu und es herrschte unter den Tieren, die den Halt verloren, große Aufregung. Der Sturm wäre schon unter normalen Umständen schwer zu ertragen gewesen – doch in der Finsternis und wegen der geschwächten Kondition aller Tiere an Bord war er entsetzlich. Gerade den Neugeborenen und den ganz Alten machte die ewige Feuchtigkeit, die durch den Temperatursturz verursachte Abkühlung und der eisige Wind, der durch jede Ritze und Spalte durchblies und in allen Abflüssen stöhnte, besonders schwer zu schaffen. Der größte Feind war jedoch die Finsternis.
    Krähe, deren Sehkraft normalerweise mit der jedes anderen Lebewesens mithalten konnte – verlor diese Kraft im Finstern, daher waren ihre Flüge in den Gängen und Korridoren gelinde ausgedrückt riskant. Andauernd flog sie in offene Türen und Maschendraht und litt dann unter schrecklichen Kopfschmerzen.
    Mottyl ging allmählich das Adrenalin aus. Sie war von oben bis unten durch die unteren Decks gestreift – sogar in den gefürchteten Schacht – und hatte dabei einmal das Füttern ihrer Kätzchen vergessen. Das Säugen fand sie, wenn sie ehrlich war, zunehmend schwerer. Normalerweise wären die Kätzchen schon lange entwöhnt worden, vielleicht schon drei Wochen früher, doch wegen der Knappheit an Mäusen, Ratten und größeren Insekten musste sie ihre Nahrung mit Milch ergänzen, die sie kaum noch erzeugen konnte. Die Zitzen am äußersten Ende ihrer Milchleiter waren völlig versiegt und die Kätzchen mussten sich möglichst nah an den noch verbliebenen Quellen zusammendrängen, so dass die übrigen Zitzen durch übermäßiges Saugen jetzt fast aussahen wie rohes Fleisch. Noch dazu hatten die Kätzchen

Weitere Kostenlose Bücher