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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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– der Holzlöffel verharrte vor ihren Lippen – und die Kombüse begann sich um sie herumzudrehen. Was hatte er gesagt?
    »Wo ist das Kind, das wir haben, frage ich!«, rief der alte Mann nochmals.
    Hannah ließ langsam den Löffel sinken, legte den Handrücken gegen die Stirn und schloss die Augen.
    »Emma!«, brüllte Noah. »Wo ist sie?«
    Hannah schlug die Augen auf.
    Emma.
    »Ach«, sagte sie – und rief zurück: »Emma ist in ihrer Kajüte. Krank.« (Sie wagte nicht zu sagen, um welche Art Krankheit es sich handelte – dass Emma nämlich stumm geworden war und nicht essen wollte, wie ein trauerndes Tier.)
    »Du arbeitest zu viel«, sagte Noah, der sich in Gedanken von dem Sturm und den Piratenschiffen löste und im Geist in die Zukunft wanderte (Hand in Hand mit Jahwe vielleicht), wo es wieder Häuser geben würde und Küchen so groß wie Archen und Kinderzimmer voller Kinder – eine passende Art, seine Tage zu beschließen. – und Schwester-Tochter Hannah, ganz in Weiß, würde alles leiten. Noah würde unter dem frisch gepflanzten, gleich zehn Meter hohen Walnussbaum sitzen und der neu bepflanzte, schon uralte Obstgarten hinter dem heiligen Tor würde die Luft mit dem Duft von Weisheit und Blüten erfüllen – Äpfel, Birnen; und der neu ernannte Engel wäre auch dabei, aber in den Ästen des…
    »Tochter?«
    »Ja, Vater Noyes?«
    »War das meine Frau auf Deck, mit den ganz weißen Haaren und in Sackleinen gekleidet?«
    »Ja, Vater Noyes.«
    »Keine Piraten also?«
    »Nein, Vater Noyes. Keine Piraten.«
    »Und wer war der Mann neben ihr…?« (Engel. Engel. War das nicht ein Engelsgesicht neben ihr – Engelshaut und Engelshaar …)
    »Ham, Vater Noyes. Das war Ham, Ihr Sohn.«
    Die Vision flackerte mal auf, mal war sie wieder verschwunden – sie bewegte sich im Rhythmus der Lampen. Ein anderes Gesicht – nicht das von Ham –, sondern…
    »Nein, der andere Mann.«
    Hannah stand im Türrahmen, den Breitopf in der Hand, bereit die Haferflocken zu servieren.
    »Der andere Mann?«
    »Das war ein Engel, Tochter.« Noah drehte sich um und seine Augen blitzten zu Hannah hin und wieder weg, wie die Vision. »Glaubst du nicht, dass ich einen Engel erkenne, wenn ich einen sehe?«
    Mann. Pirat. Engel. Was sollte Hannah jetzt sagen? Sollte sie den alten Mann daran erinnern, dass er lediglich Luci gesehen hatte? Das würde ihn wütend machen.
    »Ja«, sagte sie. »Vielleicht ein Engel. Ja…« Und sie ging in die Kombüse zurück und füllte zwei Schüsseln mit Brei, dunkelbraunem Zucker und dem allerletzten Rest Sahne.
    Nachdem sie zwei Silberlöffel in je eine breite weiße Serviette gewickelt hatte, nahm sie Löffel und Schüsseln und ging in den Salon zurück, wo sie sofort einen Luftzug bemerkte.
    Noah stand aufrecht da – er saß nicht – und starrte auf die Tür zum Deck, die der Sturm offensichtlich aufgestoßen hatte. Sie schwang an den Scharnieren hin und her – ging weder ganz zu – noch flog sie weit auf.
    Hannah stellte die beiden Schüsseln auf dem Tisch ab und ging um das lange Tischende herum auf die Außentür zu, um sie zu schließen. Davor aber, auf halbem Weg, erblickte sie den Kater Abraham, der aus der Finsternis auftauchte – mit Schnee auf dem Rücken und etwas im Maul.
    Sie versuchte – und zumindest äußerlich gelang es ihr, – ihren Ekel vor der Aussicht auf eine weitere Ratte, die der unternehmungslustige Abraham nach Hause schleppte, zu unterdrücken. Er fraß sie nie, köpfte sie nur – und ließ den Rest liegen, den sie dann aufhob und über Bord warf. Manchmal fand sie Köpfe, die von den Sitzflächen der Stühle, aus den Schubladen der Kommoden und von ihren Bettdecken zu ihr aufblickten. Es half nichts, dass sie alle Türen zwischen ihrem Teil und dem Rest der Arche zusperrte – irgendwie fand Abraham immer einen Weg hinein.
    Diesmal lief sie zuerst um ihn herum und schloss die Tür, bevor sie zurückging um das Unvermeidliche in Angriff zu nehmen. Sie nahm sich gerade vor, wenn es sich vermeiden ließ, sich erst um die Ratte zu kümmern, wenn sie ihren Brei gegessen hatte.
    Aber Noah hatte schon gesehen, dass das Ding in Abrahams Maul keine Ratte war, sondern etwas anderes – etwas Silberfarbenes.
     
     
    Abraham trat vor Noahs Füße und verbeugte sich – das Ding hing noch immer aus seinem Maul. Dann sprang er – trotz der Erschütterungen durch den Sturm ganz Grazie und Sicherheit – zuerst auf Noahs Stuhl, wo er sich mit dem Ding vor Sarah verbeugte, und

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