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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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ein- und ausfliegen konnten. Im Innern hatten die Bienen selbst mehrere Schichten Honigwaben angefertigt, und gesonderte Schichten für Eier, Puppen und Kinderstuben für die Jungen, die von anderen gefüttert werden mussten, bis sie aus den Zellen kamen, um ihre eigene Rolle in der Weltordnung zu übernehmen. Jeder Stock hatte eine eigene Königin und verfügte über seinen eigenen Essensvorrat. Was Luci an den Bienen interessierte, war jedoch vor allem die Wärme, die sie erzeugten, und das tiefe durchdringende Geräusch bei ihrem Aufwachen.
    Ham hatte vorgeschlagen, die Bienenkörbe in die warme Kombüse zu bringen, da die Kälte Bienen gefährlich werden konnte. Ihre eigene Wärme reichte nicht, um sie am Leben zu erhalten. Luci hatte die Stöcke auf den Tisch gestellt und drückte immer wieder ihr Ohr dagegen – und summte. »So anregend«, sagte sie. »Ganz außergewöhnlich…« Und ihr Gesicht nahm einen ganz intensiven Ausdruck an.
    Allmählich – und voll Bedauern – wurde die Suche nach dem Kätzchen aufgegeben, und nachdem die Suchmannschaft sich ihren Misserfolg eingestand, gesellten sich ihre Mitglieder einzeln und paarweise zu den Menschen, die sich um den Herd drängten.
    Bip hatte Mottyl einfach aufgehoben – wie er es bei einem anderen Lemuren tun würde – und sie in die Kombüse getragen, wo sie jetzt unterm Herd lag, halb schlief und arg keuchte, während Ringer zu dem geheimen Nest zurückkehrte und die übrigen Kätzchen holte, damit sie aus einer Schüssel mit dünner, verwässerter Ziegenmilch gefüttert werden konnten.
    Die Wombats und Nachtschwalben saßen oben und versuchten den Rauch vom Herd zu vermeiden, und die Schlangen krochen in die Ecke, möglichst weit weg von der Hitze. Krähe hockte auf der Wäscheleine, die Mrs Noyes in glücklicheren Zeiten gespannt hatte – und auf der in Erwartung von Emmas Rückkehr ihre bunten Geschirrtücher und Spülbürsten hingen.
    Lange Zeit herrschte Stille – nur verschiedene Essgeräusche waren zu hören: Breischüsseln und Löffel – Teebecher – und das Schlecken von Milch. In Krähes Fall wurde das Geräusch vom Picken in rohem Maisgrieß verursacht, den Ham und Mrs Noyes ihr handvollweise hinhielten. Die Nachtschwalben und die Wombats fraßen Fliegen, während die Schlangen sich damit zufrieden gaben, vor sich hin zu dösen und – wie Mottyl – nur vom Essen zu träumen.
    Luci war in Trance gefallen – ihr Ohr war gegen die Bienenkörbe gedrückt, ihr Breilöffel hing herab und drohte aus ihren Fingern zu gleiten, und ihre Schüssel kippte bedrohlich. Ham, der sich gerade von Krähe abgewandt hatte und sich wieder setzen wollte, um den eigenen Brei zu essen, sah zu seiner Frau und nahm ihr die Schüssel sanft aus der Hand. Den Löffel wollte sie jedoch nicht hergeben – sie hielt ihn fest, als er danach griff, sagte aber nichts, sah ihn auch nicht an. Ham setzte sich wieder auf seinen Stuhl, und während er aß, ließ er den Blick nicht von ihr ab.
    Luci schwitzte, und je mehr Schweiß auf ihre Stirn trat und ihr Gesicht herunterströmte – er tropfte schon von Kinn und Nase –, desto heftiger weigerte sie sich, ihren Stuhl vom Herd wegzurücken, auch als ihre Kleidung schon zu rauchen und zu dampfen begann. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund lauschte sie den Bienenstöcken – und von Zeit zu Zeit bewegten sich Wörter wie Wellen und Zuckungen über ihre Lippen und ihren Kiefer.
    Mrs Noyes fragte: »Hörst du den Bienen zu?«
    Luci antwortete nicht, aber Ham sagte: »Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Es fing an, als sie die anderen Insekten fütterte. Eines Tages ging ich hin, um zu sehen, was los war, weil sie noch nicht zu den Futtertonnen zurückgekommen war; sie war schon über eine Stunde weg. Da war sie – genau so; sie hockte neben den Bienenstöcken und ich dachte, sie wäre eingeschlafen. Ich habe sie angesprochen – genau wie du jetzt –, und es kam keine Antwort. Ich habe sie noch einmal angesprochen, wieder keine Reaktion. Da habe ich mich vor sie hingestellt und sie gerufen – und ich habe gesehen, dass ihre Augen offen waren und sie ganz wach war. Nur, sie befand sich in einer Art Trance…«
    »Das erinnert mich an Mottyl«, sagte Mrs Noyes. »An eine Katzentrance. Du weißt, wie sie manchmal starrt? Genauso, die Augen weit aufgerissen – als ob sie etwas fixiert, das ich nicht sehen kann, oder etwas hört, was ich nicht hören kann. Aber ich habe so etwas noch nie bei einem

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