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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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Geschwindigkeit, die beide die Luft anhalten ließen.
    »Oh mein…«, sagte Mrs Noyes – und dann mit kaum noch hörbarer Stimme: »Kommt zurück…«
    Mottyl sprang auf die Erde und stellte sich mitten in den Hof neben Mrs Noyes; beide schauten zum Haus zurück, hinauf zu den Kaminen.
    Die Störche klapperten – sie wurden offensichtlich gestört, als sie sich in ihren Nestern zur Nachtruhe begeben wollten. Jetzt stand jeder von ihnen auf seinem Kamin und drohte den Eindringlingen – die inzwischen verschwunden waren – mit dem Schnabel.
    Gerade noch hatte Mrs Noyes gefragt: »Wo sind sie hin?«, als die Feen zurückstürmten – so schnell über das Dach und um die Kamine sausten, dass die Störche in die Luft schnappten. Noch nie hatte Mottyl erlebt, dass sie sich mit einer solchen Geschwindigkeit bewegten. Meistens waren sie ruhig und gelassen – außer es jagte sie jemand –, und instinktiv schaute sie um sich, um zu sehen, ob drüben auf dem Rasen sie vielleicht irgendetwas verfolgte.
    Nichts.
    »Vielleicht wollen sie uns etwas mitteilen«, sagte Mrs Noyes. »WOLLT IHR UNS ETWAS MITTEILEN?«, rief sie.
    Doch die Feen rasten weiter um die Kamine, zuerst um den einen, dann um den andern.
    »Was wollt ihr?«, fragte Mrs Noyes. »WAS WOLLT IHR?«
    Die Feen schwebten – schimmernd – über dem Dach, Mrs Noyes, die Störche und Mottyl schauten nur zu. Und dann fingen sie an, ein Geräusch wie Bienen von sich zu geben – sie schimmerten immer heller, während das Summen immer lauter wurde. Wieder begannen die Störche zu klappern.
    »Vielleicht hätte ich sie nicht anschreien sollen«, sagte Mrs Noyes. »Sie scheinen verärgert zu sein.«
    Aber die Feen brummten nicht aus Ärger. Sie bereiteten sich lediglich auf ihr nächstes Manöver vor.
    Höher und höher flogen sie hinauf und jetzt, da der Himmel etwas dunkler war, konnte man ihre Lichter besser erkennen. Einen Augenblick blieben sie wie eine Masse hängen – sehr hell – und man konnte ihre Stimmen ganz deutlich hören.
    Schau!
    Sogar Mottyl konnte sie mit ihrem guten Auge sehen.
    Ganz langsam teilte sich die Lichtmasse – schien sich fast aufzulösen. Und dann bildete sie sich von neuem – in einer seltsamen Form, wie ein Knoten.
    Wie unbewusst setzte Mrs Noyes – den Mund weit offen und den Blick immer noch fest auf die Form des Knotens in der Luft gerichtet – ihren Krug ab und führte die Hände zusammen, nahm Daumen und Zeigefinger und ahmte die Form nach – steckte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand wie ein Kettenglied durch den vom Daumen und Zeigefinger der linken Hand gebildeten Kreis. »Ja«, sagte sie. »Gut…« Sie merkte nicht einmal, dass sie sprach.
    Jetzt löste sich die Figur erneut auf, nur um gleich wieder eine Masse zu bilden; das Lärmen der Feen ließ nach, bis Mottyl es nicht mehr hörte.
    Noch einen Augenblick, dann bewegte sich die Lichtmasse vom Haus über den Hof auf den Rasen zu und danach, jenseits des Rasens, wieder durch den Dunst hindurch und zum Wald zurück.
    Mrs Noyes blieb zurück, Zeigefinger und Daumen in Nachahmung der Knotenfigur noch zusammengesteckt, und plötzlich kam ihr die Luft kühl vor.
    Sie zitterte.
    »Mottyl? Hast du das gesehen?«
    Aber Mottyl war weg.
    Mrs Noyes sagte: »Verdammt! Das ist nicht fair. Jetzt wird mir keiner glauben.« Sie bückte sich und hob ihren Krug hoch, trank daraus und ging langsam zu der Veranda und ihrem Stuhl zurück – dabei sah sie zerstreut zum Himmel und stolperte fast über die Stufe.
    Als sie wieder in ihrem Schaukelstuhl saß und ihren Krug im Arm wiegte, steckte sie Daumen und Zeigefinger erneut in Nachahmung des seltsamen Musters zusammen.
    Welche Bedeutung mochte es haben? Sie würde Ham fragen müssen. Ihren Mann zu fragen, das wagte sie nicht einmal zu denken. Wenn Noah dann wissen wollte, warum sie das interessiere, würde sie ihm die Wahrheit sagen müssen. Sie könnte ihm kaum vormachen, das Muster im Staub vor ihren Füßen gesehen zu haben. Und wie immer, wenn es um Feen ging, würde die Wahrheit vom Tisch gewischt werden – mitsamt Hams sieben Sternen und den Mondphasen. Und wie immer würde man sie für eine Närrin halten.
    Mottyl war durch den Hof gelaufen, über die niedrige Steinmauer und über die Rasenflächen gesprungen und befand sich jetzt auf ihrem Weg durch die Felder; sie lief den Berg hinunter, immer den Feen nach.
    Auf der Wiese hatte jemand entbunden und ein paar Vögel waren da und fraßen den Mutterkuchen. Mottyl konnte die

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