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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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sich ein Bild von dem machen konnte, was jetzt zu tun war.
    Er würde von Seite zu Seite schaukeln – damit könnte er den Deckel vielleicht verrücken. Womöglich könnte er die Wanne sogar umkippen, so dass sie ihn mitsamt der Marinade auf den Boden schwemmte.
    Er konnte es zumindest versuchen.
    Das Schaukeln brachte ihn fast um – denn mit jeder Bewegung schwappte ihm die scharfe Flüssigkeit über das Gesicht und in die Nase.
    Schnell lernte er vor der Schaukelbewegung Luft zu holen und den Atem anzuhalten – und dann warf er sein ganzes Gewicht mit großer Heftigkeit zuerst auf die eine, dann auf die andere Seite.
    Zuerst geschah gar nichts. Doch allmählich hatte er heraus, wie er sowohl das Gewicht der Marinade als auch das eigene nutzen konnte – er wippte langsamer, so dass die Flüssigkeit Zeit hatte, sich auf derselben Seite wie sein Körper zu sammeln.
    Endlich gelang es ihm – obwohl dieser Erfolg ihn fast getötet hätte. Japeth zwang sich so weit auf die Seite, dass sein Gesicht unter die Flut der Marinade geriet, und gerade als er kurz vorm Ertrinken war, machte die Wanne einen Ruck – und kippte ihn beinahe unter sich auf den regennassen Boden.
    Er brauchte ganze drei oder vier Minuten, um sich zu sammeln – und sogar dann musste er sich sehr anstrengen, um sich von der umgefallenen Wanne zu befreien. Der Deckel, der scharfe Kanten hatte, lag unter ihm und schnitt ihm in Schienbeine, Rippen und Schultern. Das Befreiungsmanöver war eine Tortur.
    Endlich kam Japeth auf die Knie. Seine Knöchel waren hinter ihm, seine Handgelenke vor ihm festgebunden – aber er konnte atmen und er konnte sehen.
    Das Feld lag brach – und alle Feuer waren, so wie er vermutet hatte, vom Regen gelöscht worden. Der Karren der Rüpel stand verlassen da und zuerst dachte er, er sei alleine. Doch als er mit Blicken die Finsternis absuchte, sah er sie; in einiger Entfernung hockten sie in einem Kreis unter den Bäumen.
    Dort suchten sie offensichtlich Schutz vor dem Sturm – doch eindeutig gingen sie auch einer Tätigkeit nach, waren ganz darin versunken und hatten Japeth offensichtlich nicht nur verlassen, sondern auch vergessen.
    Mit Hilfe der scharfen Kanten des Deckels, der ihn eingesperrt hatte, konnte er die Stricke durchschneiden, die seine Handgelenke fesselten, und dann die Knoten an seinen Knöcheln lösen.
    Nackt und blau vom Wein, in dem er gelegen hatte (er wusste damals noch nicht, dass die Verfärbung seiner Haut dauerhaft sein würde), kroch Japeth zum Karren und versteckte sich dahinter.
    Die, die unter den Bäumen zusammenhockten, ließ er keine Sekunde aus den Augen. Sie waren immer stärker in ihre Tätigkeit vertieft und er fragte sich, womit in aller Welt sie beschäftigt sein mochten.
    Als ihm endlich dämmerte, dass sie ihn schlicht vergessen hatten und er frei war, warf Japeth einen letzten Blick auf die Männer, die da nach vorne gebeugt im Kreis hockten – alle hockten – alle mampften.
    Mampften.
    Japeth machte einen weiten Bogen um das Feld und betrat den Wald, der die Szenerie der feiernden Männer überragte. Sie tranken auch, aus den Weinkrügen, deren Inhalt Japeths Marinade gewesen war – und lachten mit vollem Mund und schnatterten wie Gänse.
    Er wagte nicht, sich näher als zehn oder zwölf Meter heranzuschleichen, im Schutz der Dunkelheit unter den Bäumen fühlte er sich sicher. Aber es reichte, um sie klar zu erkennen und um die wenigen Worte zu belauschen, die in dem Grunzen und Sabbern zu verstehen waren. Ihre Finger rumorten dabei in dem Haufen Essen vor ihnen herum – grapschten nach Stücken und stopften sie zwischen die Lippen.
    Ihr Kinn, ihre Lippen, Hände und nackten Knie waren ganz schrecklich mit Fett beschmiert und als Japeth erkannte, was sie aßen, ergriff er panikartig die Flucht.
    Vorher hatte er noch die Worte »Blitz«, »gebraten« und »arme Alte« verstehen können.
    Hatte sie auch erkannt.
    Es war die Köchin, die ihm direkt in die Augen geschaut und gegrinst hatte, als sie zum letzten Mal den Deckel anhob, um Locken in seine feinen Haare zu machen.
    Und während Japeth die Flucht ergriff, lehnte sich der Rüpelkönig wie ein Zwerg nach vorne, hob die Hände der Frau an und schlürfte das Fleisch von ihren Fingern.
     
     
    Dieses letzte Bild flößte Japeth jetzt den Mut ein, sich von seinem Platz neben dem Pavillon seines Vaters zu erheben und die eine Person zu suchen, die, wie er wusste, in der Lage wäre, ihn für immer vor allen Fremden und vor

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