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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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gezogenen Wagen fuhren. Alle großen Tiere in ihren großen Käfigen wurden in Noahs Obhut zurückgelassen. Dafür gab es keine Erklärung im Sinne einer öffentlichen Ankündigung, obwohl Doktor Noyes selber den Grund offensichtlich kannte, und soweit man sehen konnte, gefiel es ihm, dass die Unterbringung und Pflege so vieler und so verschiedener Tiere ihm zufielen.
    Die Sonne war emporgestiegen, aber nicht weiter als bis zur Mittagsposition, während Jahwe und Noah im Obstgarten hin- und hergingen. Von ihrem Platz am Tor hatte Hannah zwar nichts mitgehört, konnte aber bezeugen, dass das Gespräch sehr intensiv verlaufen war. Wieder weinte Jahwe; wieder war er gezwungen, lange Pausen einzulegen, um die Fassung wiederzuerlangen. Doch das war alles, was Hannah erkennen konnte. Als sie wiederkamen, lächelte Jahwe; Noah war sehr blass und erschöpft und verschwitzt – und beide schwiegen.
    Als sich der Augenblick von Jahwes Abschied näherte, kam Mrs Noyes mit Mottyl in den Armen vom Haus herunter. Sie hatte einen Krug voll Kamillentee gemacht und Eisstücke hineingegeben, um ihn kühl zu halten. Diesen überreichte sie Jahwe.
    Dann schenkte Jahwe Noah seine beiden Katzen – Abraham und Sarah. Traurig verabschiedete er sich von ihnen mit Küssen und vielen Lebewohls. Dann wandte er sich seiner Kutsche zu.
    Endlich wurde Mrs Noyes erlaubt, ihren rechtmäßigen Platz einzunehmen, und so stand sie mit Mottyl einen Schritt hinter und einen Schritt links von Noah.
    Jahwe war jetzt fertig mit Reden. Seine Gesten waren groß und ausladend: hatten etwas Endgültiges. Vielleicht war es Seine Absicht, einen bleibenden Eindruck von Seiner Person zu hinterlassen. Er war sehr müde.
    Michael Archangelis hielt eigenhändig die Tür der Kutsche auf, und gerade als Jahwe die Arme nach oben streckte, um die Schlaufen zu fassen, mit deren Hilfe Er sich hineinziehen würde, war da ein Geräusch, das zunächst niemand deuten konnte.
    Es kam aus dem verdunkelten Innern der Kutsche, wie Stimmen am Ende eines unbeleuchteten Ganges, deren Entfernung nicht abzuschätzen war. Mottyl erkannte als Erste, woher das Geräusch kam.
    Es waren Fliegen. Tausende von Fliegen: Sie warteten.
    Als Er sie hörte, hielt Jahwe inne, aber dann zog Er sich hinauf, ohne sich umzudrehen, während Michael Ihn emporhievte, und Er verschwand.
    Mit einem hohl klingenden Schlag ging die Tür der Kutsche zu.
    Eine Menge Staub wirbelte empor. Vorreiter, geflügelte Pferde, die Kutsche selbst und alle Engel zu Fuß und alle Wagen setzten sich den Berg hinunter in Bewegung; Noah und seine ganze Familie folgten und winkten – und alle Schafe riefen: Hosanna!
    Mottyl fragte sich: Wusste es sonst niemand? Verstand nur sie – außer Jahwe – die Bedeutung der Fliegenkrone?
    So war es. Indem er in die Kutsche stieg, sich trotz der Fliegenkrone darin niederließ und die Tür zumachte, hatte Gott, der Vater der Schöpfung, Seinem eigenen Tod zugestimmt.

 
     
     
    Buch Zwei
     
     
    Von den reinen Tieren und von den unreinen,
    von den Vögeln und von allem Gewürm auf Erden
    gingen sie zu ihm in die Arche paarweise, je ein Männchen
    und Weibchen, wie ihm Gott geboten hatte.
     
    Genesis 7,8-9

Viele gute Gründe – sowohl strategische als auch praktische – sprachen dafür, die Arche oben auf dem Berg zu bauen. Zum einen war der Berg am Kamm kahl. Dort oben befand sich nichts außer dem Familienaltar der Noyes und der Pinie. Genau unterhalb des Altars und der Pinie – auf der anderen Seite – lag eine kreisrunde, nicht eingezäunte Wiese, die vor dem Bau der Arche mit blassblauen Blumen und bauchhohem Knistergras übersät war. Vor Baubeginn hatte Sem diese Wiese vorsichtshalber gemäht; als die Fuhrleute mit den Ochsenkarren ankamen, die das Holz aus dem Forst jenseits des Flusses brachten, konnte man die Ochsen mit Blumen und Gras füttern. In den Tagen, bevor der Regen einsetzte, sah die Wiese aus wie der staubige Hof einer florierenden Holzhandlung – was bei den einfachen Leuten, die auf der Straße hin- und hergingen, keinen Argwohn weckte. »Schau nur«, sagten sie, »da wird jemand mit Holzhandel ein Vermögen verdienen.«
    Als Baumaterial war Tannenholz gewählt worden, ein kräftiges, leicht gemasertes Holz, das gewisse Eigenschaften von Kork aufweist. Balken und Planken wurden aus riesigen Bäumen mit giftgrüner Rinde und gelbem Holz gehauen. Für solche Bäume musste man sehr weit suchen – sie wuchsen nur jenseits des Flusses und tief drinnen im

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