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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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sich dagegen, Hannah weigerte sich davon zu sprechen und Japeth war vor Eifersucht wütend. Er vermutete zu Recht, dass es in der Ehe seines Bruders zwischen der Freude über die Eheschließung und den Freuden des Ehebettes keine Pause geben würde. Und warum hatte ausgerechnet Ham, der noch nie eine Frau überhaupt angeschaut, den Namen einer Frau niemals erwähnt hatte, so viel Glück? Es war unfair. Japeth würde Ham und Luci – zuerst heimlich, dann ganz offen – für immer und ewig hassen. Alles, was Japeth wollte, hatte ein anderer entweder mit in die Wiege gelegt bekommen oder mit einem bloßen Fingerschnippen erreicht. Nur sein Leben war mit Problemen beladen – nur sein Leben war die Hölle.
    Was Doktor Noyes und Hannah betraf, so konnten sie, auch wenn sie die Aussicht, dass Schwester Luci (wie man sie jetzt nennen musste) bald Mitglied der Familie war, weder guthießen noch freudig aufnahmen, nichts anderes dagegen tun, als die ganze Nachbarschaft nach einer anderen Kandidatin abzusuchen. Was jedoch Wochen in Anspruch genommen – und womöglich nichts Besseres als eine zweite Emma zum Vorschein gebracht hätte. Jahwes Edikt hatte eindeutig festgelegt: »Noah, seine Frau, seine drei Söhne und die Frauen seiner Söhne.« Dem musste die Familie Noyes beim Besteigen der Arche entsprechen – und jetzt, da Ham Luci geheiratet hatte, war diese Forderung erfüllt.
     
     
    Hannah hatte ihre eigenen Probleme. Als der Bau der Arche den zweiten Monat erreicht hatte – das war etwa die Zeit von Hams Eheschließung –, hatte Hannah sich selbst endlich eingestanden, dass sie schwanger war. Im dritten Monat – oder war es schon der vierte? Könnte sie sich täuschen…? Jeden Monat, wenn ihre Regel wieder ausblieb, versuchte sie mit ihrer ganzen Geisteskraft zu leugnen, dass es schon vor vier Monaten angefangen hatte. Im ersten Monat waren ihre Tage einfach so ausgeblieben; sie war im Stress; sie hatte den Überblick verloren – sich verrechnet… Auf jeden Fall war drei die Zahl, die sie Sem nannte. Falls die Zeit sie Lügen strafen sollte, dann wäre sie – natürlich – nicht die erste Frau, die ein Kind vorzeitig zur Welt brächte, und bis dahin würde die Aufregung über die Ankunft des Kindes das Interesse der anderen für Zahlen dämpfen.
    Dennoch betete Hannah jeden Abend: »Bitte, mach, dass ich mich täusche!«
     
     
    Die Arche wurde an einem Tag vollendet, an dem Staubstürme tobten.
    So etwas Hässliches hatte es noch nie gegeben. Verlassen stand sie auf ihrem Berghang, ihr Afterdeck und Kastell waren formlos, die Farbe war abscheulich und wurde durch breite triefende Pechbahnen, die wie eine Unmenge ungenießbarer Creme auf einer Gifttorte seitlich hinuntersickerten, noch schlimmer.
    Noah ließ sich von Hannah den Berg hinaufbegleiten – beide gegen den Staub in Tücher gehüllt –, nur damit er das Unding segnen und sich dann gleich wieder entfernen konnte.
    Noah starrte es an und in einem Augenblick der Schwäche wünschte er, dass er seinen Vertrag mit Jahwe nochmals aushandeln könnte. Wenn dieses erbärmliche Machwerk – von Staubwolken umtost – für die nächsten hundert Jahre sein Zuhause sein sollte, so konnte er nur hoffen, dass es schwimmen würde.
    Mrs Noyes und Emma, Ham und die elegante Luci standen unten im Hof, auch sie gegen den Staub in flatternde Tücher gewickelt, und schauten wortlos zu, wie die letzten Holzwagen mit ihren schweigenden Arbeitertrupps den Berg hinunterrollten. Keiner winkte, keiner rief einen Abschiedsgruß. Zuletzt sah man von all diesen Männern nur noch ihre baumelnden Beine und ihre gesenkten Köpfe – zuletzt sah man von den Wagen und den Ochsen nur noch das Geisterbild einer Flotte flacher Holzboote, die in Zeitlupe einen Sandfluss hinuntergerissen wurde.
    Der Wind tobte zwei oder drei Tage ununterbrochen – ein am Boden entlangwehender, heißer, nicht nachlassender Wind, der den Berg hinuntersauste, als ob sich sein Ursprung am Gipfel befände. In der Nacht machte er eigene Geräusche – und tagsüber war er von den Schreien verirrter Vögel erfüllt, die weit über die Bäume hochgetrieben wurden, wo der Himmel erstaunlich klar und blau war. Unter ihm verschwand die Erde, durch windgepeitschten Mutterboden und hochgewirbelten Staub und Zweige verdeckt.
    Es war ziemlich schwierig, etwas zu sehen – es gelang nur, wenn man sich gegen den Wind kehrte und rückwärts lief. Den Berg hinaufzugehen war also sehr schwer, das Hinuntergehen aber war

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