Die letzte Flut
Geschöpf an ihrer Brust und sah, dass es Mottyl war, blind und trächtig, und sie sagte: »Wollte er auch Mottyl umbringen? Für Jahwe?«
Ham schaute weg – er schämte sich.
Mrs Noyes stieß einen Schrei aus. »Ich werde ihn umbringen«, sagte sie. »Ich werde – ihn umbringen.«
Ham schaute zu Boden und tat, als hätte er es nicht gehört.
Mrs Noyes hielt Mottyl jetzt ganz behutsam und beruhigte sie mit einem Stückchen Stoff – wischte ihr die milchigen erblindeten Augen und verlagerte das Gewicht des trächtigen Körpers, so dass die Katze flach an ihrem Körper lag. In Sicherheit war.
»Hat er wirklich die Absicht sie alle – all diese Tiere – zu töten?«, fragte sie Ham – und sie schaute um sich, um festzustellen, ob sie irgendeine Spur von Doktor Noyes oder ihren anderen Söhnen entdecken konnte. »Jedes einzelne?«
»Er sagt, es sei das letzte Opfer, bevor wir an Bord gehen«, sagte Ham zu ihr. »Das ist sein Geschenk an Jahwe, dafür, dass…«, und gegen seinen Willen konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken, »dafür, dass er uns verschont hat.«
Mrs Noyes ächzte und drückte ihr Kinn gegen Mottyls Kopf.
»Ich gehe nicht mit«, sagte sie. »Zum Teufel mit ihm. Zum Teufel mit seinem wer schont wen. So einfach ist das. Ich gehe nicht mit.«
Mrs Noyes machte ein paar Schritte, drehte sich noch einmal um und schaute Ham an.
»Kommst du mit mir?«
Ham rührte sich nicht.
Er war schließlich jung und frisch verheiratet. Er wollte die Arche besteigen – verschont werden. Mrs Noyes konnte ihm nachfühlen – und sie wusste es zu schätzen, dass er zu ihr hielt; als ob ein Teil von ihm ihr folgen würde, wenn nur seine Lebensumstände andere wären.
»Na gut«, sagte sie – und lächelte. Beim Lächeln verengten sich ihre Augen und sie schaute Ham kurz an – prägte sich seine Gesichtszüge und Körperhaltung ins Gedächtnis ein. Dann sagte sie: »Auf Wiedersehen«, drehte sich um und wollte mit Mottyl in ihren Armen den Berg hinuntergehen, als sie – plötzlich – von einer Hand gepackt wurde und jemand sich ihr in den Weg stellte.
Es war Sem, und er sagte nur: »Er will dich sehen.« Dann drehte er sie an der Schulter um und führte sie weg.
Sie stiegen den Berg hinauf – bis ganz nach oben, wohin sich Noah zurückgezogen hatte, um so weit wie möglich vom Holocaust da unten entfernt zu sein. Er stand auf dem Familienaltar – fast, als wollte er sich selber opfern, obwohl Mrs Noyes wusste, dass das höchst unwahrscheinlich war. Die Opferglocke läutete.
Noahs Arme waren über seinen Kopf erhoben und sein Gesicht war dem Himmel zugewandt – so dass Mrs Noyes nur seine verschmutzte weiße Robe, seinen verfilzten Bart und seine nach hinten geworfene weiße Mähne sehen konnte.
Sem hielt sie noch immer an der Schulter fest, die Finger seiner großen schwieligen Hand drangen bis an ihre Knochen – und sie roch den Geruch des Feuers an seinem Arm und auch sonst überall war brennendes Fleisch und Grasfeuer und die Angst und der Schrecken der Tiere zu riechen. Mrs Noyes drückte Mottyl noch fester an ihre Brust und versuchte, den zerrissenen Stofffetzen noch näher an ihr Kinn zu ziehen, um sie zu verbergen.
Als das Gebet, das er sprach, zu Ende war – Mrs Noyes hatte es mit offenen Augen und hoch erhobenen Hauptes angehört –, ließ Noah die Arme fallen und betrachtete seine Frau.
»Du warst verschwunden«, sagte er.
»Ich hatte zu tun.«
»Aha.«
(Dass sie damit beschäftigt war, die Vorräte für eine monatelange Seereise zu besorgen, war für ihn nicht einmal einer Erwähnung wert.)
»Du wolltest mich sehen?«
»Ja. Ich hatte gehofft, du würdest das Opfer mit ansehen, daran teilnehmen.«
»Ich hatte keine Lust, daran teilzunehmen – und ich habe es gesehen. Danke.«
»Du bist ziemlich kurz angebunden, meine Liebe.«
»Das stimmt.«
Hannah half Noah vom Altar herunter. Mrs Noyes merkte gleich, dass sie in makelloses Weiß gekleidet war.
»Du bist zweifellos übermüdet«, sagte Noah und meinte damit ihre Reizbarkeit.
»Nein«, sagte Mrs Noyes. »Eigentlich bin ich ziemlich aufgewühlt, danke.«
»Hat dich das Opfer erbaut?«
»Kaum.«
Doktor Noyes ging nicht auf ihre Bemerkung ein, sondern setzte einfach unbeirrt seine Erklärung der Ereignisse des Nachmittags fort, während er sich auf dem Altar niederließ.
»Solltest du wissen wollen, worum es hier geht – bei diesem größten Opfer, das wir dem Herrn jemals dargebracht haben –, kann ich es
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