Die letzte Flut
dir in einem Satz erklären.«
»Mir wäre es lieber, du tätest es nicht.«
»Nein, meine Liebe. Das können wir nicht hinnehmen. Schließlich bist du meine Frau, ich bin für deine Erziehung verantwortlich.«
In diesem Moment trat Hannah vor; sie brachte Wasser, in dem der alte Mann sich die Hände wusch – und dann kniete sie sich hin und wusch ihm die Füße, während er sein Gespräch mit Mrs Noyes fortführte.
»Es war unsere Pflicht, meine Liebe, diese Tiere nicht zu vergeuden – schließlich waren sie erstklassige Opfertiere, zu diesem Zweck gezüchtet. Etwa hundert Schafe und fünfzig Rinder. Verschiedenes Federvieh, von den Ziegen ganz zu schweigen… sie wären sonst alle ertrunken, meine Liebe. Was für eine Verschwendung. Unverzeihlich. Und – als Abschiedsgeste – und, wie ich sagen würde, als eine Geste der Dankbarkeit gegenüber dem Herrn…«
»Du hast die Pferde nicht erwähnt.«
»Was?«
»Die Pferde – du hast die Pferde nicht erwähnt. Die anderen, nicht die Opfertiere. Die Schweine. Und die Ochsen. Und die Maultiere. Und die Puten. Und die Hunde. Und die Pfaue. Und…«
»Hör auf!«
»Und meine Katze!«, brüllte Mrs Noyes – und obwohl ihre Stimme bei diesen Worten versagte, hatte sie sie ausgesprochen und er wusste, dass sie wusste, was er getan hatte – und was es ihr bedeutete.
»Deine Katze, meine Liebe?«
»Ja.«
Mrs Noyes schlug den Stofffetzen zurück und offenbarte einen Teil von Mottyl, die an ihrer Brust kauerte – in Panik, wegen der Gegenwart von Doktor Noyes.
Der atmete durch sein hölzernes Gebiss ein und machte dabei das zischende Geräusch, das immer ein Zeichen für großes Missfallen war. Dann wies er Mottyl mit einem Wink ab und sagte: »Wir haben schon zwei Katzen, meine Liebe. Zwei ganz besondere Katzen, darf ich hinzufügen… und das Edikt sagt ganz eindeutig zwei – nur zwei. «
»Du könntest eine Ausnahme machen.«
»Wirklich? Warum sollte ich?«
»WEIL SIE MIR GEHÖRT!«
Hannah schrak zurück – und die Hälfte des Wassers in der Schüssel wurde verschüttet.
Keiner bewegte sich – nicht einmal Noah.
Als sie merkte, dass weder ihre Worte noch die Art, wie sie sie ausgesprochen hatte, eine Veränderung in ihrem Mann bewirkten – schloss Mrs Noyes schließlich im Flüsterton: »Ich werde nicht mit dir mitkommen, Noah. Wenn meine Katze – wenn Mottyl nicht mitkommen darf, dann werde ich auch nicht mitkommen.«
Hannah zuckte zusammen. Sie hielt es für möglich, dass die Erde sich jetzt auftat.
Noah stieß die Schüssel mit dem Fuß beiseite und richtete sich zu voller Größe auf, als ob er nie alt gewesen, sondern immer noch jung und ein Riese wäre, und er holte weit aus und traf Mrs Noyes mit einem Rückhandschlag.
Sie fiel zu Boden – natürlich – und Mottyl hatte Angst, sprang aus ihren Armen und war weg.
Mrs Noyes lag regungslos dort, wo sie hingefallen war. Das Einzige, was sie denken konnte, war: Sie ist blind – und ich werde sie nie wiedersehen.
Doktor Noyes setzte sich hin. Ehrlich gesagt, konnte er nicht anders. Die Anstrengung, die es ihn gekostet hatte, seine Frau zu schlagen, hatte ihn fast gelähmt und – auf einmal war er wieder alt.
Trotzdem sammelte er sich, und als Hannah seine Füße fertig gewaschen hatte (sie hatte aus dem Krug frisches Wasser eingegossen), versuchte er, Mrs Noyes vernünftig zuzureden, auch wenn sie ihn kaum hörte.
»Es gibt doch andere Katzen… sehr schöne Katzen, Abraham und Sarah – und deine Katze ist trächtig; alt – und dahergelaufen – und blind noch dazu, meine Liebe. Sie wäre nur über Bord gefallen.« Fast musste er dabei nachsichtig kichern. »Und überlege, wie schlecht du dich dann erst gefühlt hättest: vom Meer verschluckt …«
»Sie wird ohnehin vom Meer verschluckt werden – wenn wir sie zurücklassen.«
»Na – sei es, wie es ist, du bist ohne sie besser dran und sie ist besser dran, wo sie ist. Sie wird mit ihresgleichen sterben – dort, wo sie hingehört.«
Mrs Noyes schwieg – und Doktor Noyes lächelte – und damit war das Thema offensichtlich beendet. Sie stand auf und er stand auf und beide standen da – allerdings nicht nebeneinander – und schauten den Berg hinunter; hinter ihnen ragte die große Arche empor und unter ihnen flammten die Opferfeuer auf. Er sagte: »Es ziemt sich so. Es ist recht so. Wir sind Gott gegenüber gehorsam. Und wenn wir die Arche zusammen besteigen, werden wir unseren Auftrag hier ausgeführt haben. Wir
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