Die letzte Flut
ansteigendes Feengeräusch. Sie strömten auf sie zu – alle –, eilten herbei, um sich den anderen auf ihren Schultern hinzuzugesellen.
»Dann beeilt euch!«, sagte sie. »Wenn ihr unbedingt mitkommen wollt, müsst ihr euch beeilen. Das Kind wird nicht warten – und ich auch nicht.«
Sie konnte fühlen, wie hunderte von ihnen sich auf ihren Oberschenkel, die Rippen hoch, auf ihren Arm und über ihr Tuch drängten, genauso wie die anderen zuvor, und sie warnte sie, sich in ihren Taschen zu verstecken, auch wenn sie ihnen bequem und sicher vorkamen. »Die werden unter Wasser tauchen«, sagte sie.
Als alle Feen »an Bord« zu sein schienen, erklärte sie: »Ich richte mich jetzt auf. Haltet euch fest!« Und schwankend erhob sie sich auf die Füße. Die Feen waren fast gewichtslos, doch ihre Menge genügte, um sie etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie konnte fühlen, dass sie sich über ihre Schulter zu ihrem Hals bewegten; einige klammerten sich schon an ihren Haaren fest.
»Jetzt gehe ich vorwärts«, sagte sie. »Ich mache einen Schritt nach vorn.«
Sie tat es – und währenddessen kletterten die Feen in ihre Haare und banden sich fest.
Der Fluss war warm – so warm wie der Regen –, aber die ehedem seichten Stellen reichten Mrs Noyes jetzt bis zu den Knien und dann, sehr bald, bis zu ihren Oberschenkeln, ihrer Taille, ihrer Brust… Auf halber Strecke – nein, so weit war sie noch nicht gekommen – wurde ihr klar, dass sie einen furchtbaren Fehler gemacht hatte. Sie hätte Lotte erst rufen müssen, denn wegen der Feen in ihren Haaren konnte sie jetzt überhaupt nichts mehr von sich geben. Die Lautstärke ihrer Stimme würde die Feen sofort abwerfen. Sie konnte nur…
Beten, dachte sie beinahe, darum, dass Lotte keine Angst hat, wenn sie mich kommen sieht.
Aber ich werde nicht beten: nicht zu Dir, der Du dort oben vor lauter Rache verrückt geworden bist. Nie mehr werde ich zu Dir beten. Ich werde zu irgendwem – irgendwas – beten – beten werde ich …
Zum Fluss.
Ja.
Lieber Fluss – bitte – lass zu, dass ich bis zur anderen Seite durchkomme. Ich bitte um deine Barmherzigkeit und deine Vergebung – dass ich dich unbefugt überquere. Aber dort drüben ist ein Kind – und das Kind hat Angst vor dir – und es will – es muss zur anderen Seite gebracht werden. Nur ich kann es hinüberbringen – bitte – lass mich durch … Amen.
Und – ach ja – ich bitte auch um deine Barmherzigkeit für diese erschrockenen Geschöpfe, die mich begleiten.
Aus ihren Haaren kam ein singendes Geräusch, als hätten die Feen ihr Gebet gehört, und sie fühlte, wie sie sich noch fester anklammerten, sich in ihre Kopfhaut hineindrückten, als sie genau die Mitte des Flusses – und den allerschlimmsten Teil der Strömung – erreichte.
Einen entsetzlichen Augenblick lang spürte Mrs Noyes, wie ihre Füße weggezogen wurden, und sie wandte sich stromaufwärts und drückte sich gegen die Strömung und bewegte sich seitlich – wie ein Krebs.
Lotte schaute jetzt vom Ufer aus zu – sie war die Böschung hinaufgestiegen. Sie starrte durch den Regen und hatte die Hände auf den Kopf gelegt, es sah aus, als hätte sie Mrs Noyes erkannt – vielleicht –, denn sie wartete und machte keine Anstalten wegzulaufen.
»Lieber Fluss, bitte…«, betete Mrs Noyes.
Und die Feen flüsterten, vielleicht beteten sie auch. Wenn nicht – so sollten sie es schleunigst lernen.
Die Kleidung von Mrs Noyes war mit Wasser voll gesogen – in der Strömung bauschte sie sich – zog an ihr – zerrte sie stromabwärts. Wieder drehte sie sich, ihre Arme, gerade noch über dem Wasser, streckten sich nach dem anderen Ufer, und Lotte schaute zu. »Bitte – lass nicht zu, dass ein Kind sieht, wie ich ertrinke…«
Mrs Noyes stemmte sich gegen die Wucht des Flusses, mit all der ihr verbleibenden Kraft, bis sie ganz allmählich merkte, dass die Tiefe nachließ. Ihre Achselhöhlen und das Brustbein ragten bereits aus dem Wasser, dann waren ihre Brüste frei, und der Wasserdruck verlagerte sich, bis sie ihn hauptsächlich um ihre Taille spürte, und sie dachte, dass sie jetzt in Sicherheit sei – dass sie das andere Ufer erreicht hätte und noch lebte –, als sie ganz plötzlich absackte und vollkommen untertauchte.
Die Feen werden ertrinken! Oh, Jahwe – du Bastard!
Sie schlug um sich, bis sie wieder an die Oberfläche kam – sie fuchtelte gegen den reißenden Sog der Untiefe unter ihr – irgendwo war da
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