Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
jetzt beeile, erwischen wir den Zug Richtung Tōkyō um fünf nach zwölf.«
Sie zog ihre Holzsandalen aus, nahm sie in die Hand und eilte auf das Bahngleis zu.
»Wenn wir auf dem Bahngleis sterben, dürfen wir uns nicht umgucken. Wenn man sich umguckt, entfliehen die Todesgötter.«
Karuta eilte zielstrebig voran. Ich kann bis heute nicht vergessen, wie sehr ich mich damals gefürchtet habe. Ein schwarzes Ungetüm, mitten aus der Finsternis, mit einem leuchtenden Auge, das mit tobendem Gebrüll näher kommt und sich auf dich stürzt.
Ich bekam es wieder mit der Angst zu tun und wollte um keinen Preis das Gewicht des Zuges auf meinem Leib spüren, auch wenn es eigentlich darum ging, Selbstmord zu begehen. Auf Karutas Rücken, die erhobenen Hauptes mit mir auf den Gleisen stand, zappelte ich, mich nach Leibeskräften sträubend.
»Du, hör auf, bitte! Lauf weg! Ich habe Angst! Ich will nicht!«
Von meinem verrückten Geplärr war die Entschlußkraft Karutas, die dastand, als träumte sie, wohl geschwächt worden; auf einmal sprang sie vom Gleis runter. In diesem Moment traf uns ein scharfer Luftzug, als wischte er uns übers Gesicht, und die schwarze Lokomotive donnerte dröhnend an uns vorüber, unsere Körper erschütternd. Karuta stürzte, vielleicht über irgendwas gestolpert, zu Boden, und ich auf ihrem Rücken verspürte in meinem wehen Bein einen Schmerz, der mir bis in den Kopf drang.
Als der Zug weit weg war, sagte Karuta leise:
»Tsuruchan, verzeih mir. Ich hätte dir das nicht angetan, nur weil ich selber sterben will. Aber wenn ich dich allein zurücklassen und traurig machen müßte, würdest du mir leid tun, wo du doch mir zuliebe so zugerichtet worden bist … Ich will sterben, weil mich der Kummer arg peinigt, aber ich darf dich nicht mit in den Tod treiben, wenn du nicht sterben willst. Ich will eifrig Umsatz machen und Geld anschaffen, das ich vor der Mutter geheimhalten und für mich verwenden kann, und sei es auch noch so wenig. Das gebe ich der Krankenschwester, damit sie ein bißchen netter zu dir ist, Tsuruchan, das verwende ich für dich!«
Mit solchen Reden stolperte sie den finsteren, vom Rauhreif bedeckten Weg zurück zum Haus des Arztes. Karuta war damals 18, und ich war 12 Jahre alt.
Da wir leise aus dem Krankenzimmer geschlüpft waren, hat keiner was von der Sache gemerkt. Aber weil wir dabei gestürzt waren, verschlimmerte sich der Zustand meines Beines erheblich, und eine große, häßliche Narbe blieb lebenslang an meinem Bein zurück. Man kann sich kaum vorstellen, wie minderwertig ich mich wegen dieser Narbe fühle und was für ein mit Neidkomplexen erfüllter Mensch ich deshalb geworden bin.
Seit dem Morgen nach der Rückkehr ins Krankenzimmer stieg mein Fieber an, und der Arzt wiegte den Kopf und sagte: »Seltsam, seltsam!«
Die Wunde am Bein verursachte stechende Schmerzen, die bis zum Herz ausstrahlten. Drei Tage lang hielt ich es aus, dann klagte ich, es nicht mehr ertragen zu können. Der Arzt löste den Gipsverband.
»Verflixt, es ist vereitert!«
Der Arzt war so fassungslos, daß er mir direkt leid tat, und die Patronin des Takenoya wurde benachrichtigt und kam herbei.
Ich erfuhr meinen Namen
Ich habe keine Ahnung, was danach besprochen worden ist, aber meine leibliche Mutter wurde gerufen, und ich kam in das Rotkreuz-Hospital in Suwa. Ich wurde geröntgt und am übernächsten Tag, von einer Krankenschwester getragen, in den Operationssaal gebracht. Mir schlug das Herz heftig bei den Gedanken an die Schmerzen, die jetzt wohl wieder auf mich zukommen würden, und so fest ich die Zähne auch zusammenbiß, mein Zittern nahm kein Ende. Ich wollte dauernd nur pinkeln vor lauter Angst.
Da hörte ich von draußen, wie der Arzt wütend brüllte.
»Ein Bein amputieren … kann keine Verantwortung übernehmen … warum hat man sie nicht eher eingeliefert … aus Unachtsamkeit der Eltern das Mädchen zum Krüppel machen …«
Mir war, als würde mir diese Stimme durch den Kopf schneiden, wahrscheinlich, weil meine Nerven so strapaziert waren.
Ich wurde narkotisiert und merkte danach nichts mehr. Als ich wieder zu mir kam, war ein Verband um mein Bein gebunden. In der Nacht blutete die Wunde schrecklich; fünf Lagen Zeitungspapier waren auf Ölpapier gebreitet, aber trotzdem war alles blutverklebt. Am übernächsten Tag wurde der Verband gewechselt, aber beim Abnehmen machte der Mull ein knisterndes Geräusch, wohl weil das Blut durch das Fieber festgetrocknet
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