Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
war. Ich schrie und strampelte vor Schmerzen. Die Krankenschwester brachte mir daher am andern Tag ein Stück Verbandmull und sagte:
»Du mußt dir das in den Mund stecken und fest draufbeißen. Wenn du nämlich schreist, wird der Doktor nervös und tut dir dann mehr weh als nötig.«
Von da an habe ich mir, wenn der Doktor ins Zimmer kam, die Decke über den Kopf gezogen und gewartet, bis ich an die Reihe kam.
Am vierten Tag sagte meine leibliche Mutter:
»Wenn ich nicht Geld verdienen gehe, sterben zu Hause alle vor Hunger; ich kann nicht länger bei dir bleiben. Zu Hause ist auch jemand krank, und vier Kinder warten auf mich. Ich habe dich der Krankenschwester bestens anempfohlen; sei also folgsam und laß dich schön verwöhnen!«
Dann ging sie. So trennten wir uns, ohne daß mir auch nur einmal in den Sinn gekommen wäre, »Mama« zu dieser Frau zu sagen.
In dem Krankenzimmer standen sechs Betten, und fünf davon waren mit Kranken belegt. Das Kind neben mir war ein Junge etwa im gleichen Alter wie ich, um den sich seine Großmutter kümmerte, und den Kranken daneben versorgten Großmutter und Großvater abwechselnd. Der lag schon elf Jahre im Hospital, war infolge von Knochenhautentzündung über den ganzen Leib mit Wunden bedeckt und konnte sich nicht bewegen. Er schaute umher, indem er mit einem kleinen Handspiegel das reflektierte, was er sehen wollte.
Derjenige, der mit mir Kopf an Kopf lag, war beim Onbashira-Schleifen mit dabeigewesen und mit dem Fuß drunter geraten. Obwohl ihm der Fuß amputiert werden muß, weil um seinen Knöchel herum alles zermalmt war, umsorgte ihn seine Frau, die nichts unversucht ließ, seinen Fuß doch noch irgendwie zu retten. Beim Onbashira, dem alle sieben Jahre einmal begangenen Fest am Großschrein zu Suwa, bindet man Seile an mächtige Zedernstämme aus dem Schreinwald und schleift sie durch die ganze Stadt.
Seinem Nachbarn war eine Niere entnommen worden; auch hinterher wurde es nicht besser, weshalb er ziellos umherstolperte und alle Tage auf seiner schäbigen Gitarre herumklimperte.
Alle hatten Mitleid mit mir, weil ich ganz allein gelassen worden war, und waren sehr lieb zu mir. Auch die Krankenschwester wischte mir morgens mit einem warmen Tuch das Gesicht, fütterte mich, und wenn sie mal Zeit hatte, kämmte sie mir sogar die Haare, die damals ziemlich lang gewachsen waren. Nach zehn Tagen war ich vormittags fast ganz fieberfrei und hatte meine Freude daran, die Bilderbücher, die mir die Kinder aus den Nachbarbetten geliehen hatten, immer wieder anzuschauen.
Doktor Ishii sagte, ich komme ihm vor wie die Schmerlen, jene Fische, die sich im Schlamm verbuddeln, wenn ihnen Gefahr droht, weil ich immer die Decke über den Kopf ziehe und nur das Bein rausstrecke, und fing an, mich »Schmerle« zu rufen. Es war dieser Doktor Ishii, der mich zu Anfang untersucht hatte, und ich hatte gebrüllt und ihm alle erdenklichen Schimpfwörter an den Kopf geworfen: »Du tust mir weh! Hör auf! Du elender Pfuscher, laß mich gefälligst los! Du Mistvieh, ich verkratz dich!«
»Und das, obwohl Doktor Ishii der Vizedirektor des Hospitals und ein hervorragender Arzt ist …« hatten die Leute, die mit dabei waren, immer wieder gesagt und gelacht.
Manchmal ruft Doktor Ishii: »Na, du Schmerle, du! Versteck dich nicht immer, sondern zeig mir auch mal dein Gesicht!«, und will mir die Decke wegziehen, aber ich halte sie mit beiden Händen fest.
»Heute hat's doch nicht weh getan! Komm, streck mal dein Gesicht raus, ich geb dir was zur Belohnung dafür, daß du nicht geweint hast!«
Ich habe mich trotzdem fest an die Decke geklammert. Weil die Krankenschwester mich aufforderte, »nimm's doch an, der Doktor hat dir ein Bonbon gebracht!«, streckte ich schnell einen Arm raus und bekam das Bonbon auf die Hand gelegt. Die Krankenschwester sagt:
»Das ist das erste Mal, daß der Doktor so was gemacht hat. Da kannst du stolz drauf sein, Fräulein Masuda!«
Ich war verblüfft. »Fräulein Masuda« hat die zu mir gesagt! Ich hieß also weder »Du da« noch »Tsuru«, noch »Otei«, sondern Masuda! Im Alter von 12 Jahren ins Krankenhaus eingeliefert, habe ich zum ersten Mal meinen Familiennamen erfahren.
Herzlose Vorschriften
Der Neujahrstag ging vorbei, ich war nun 13 Jahre alt, die Wunde an meinem Bein heilte mit jedem Tag weiter aus, und ich, von allen liebevoll umsorgt, lag dort ohne jeden Kummer. Das Krankenzimmer des Hospitals war für mich das Paradies. Weil ich hier seit
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