Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
ein Brenneisen drauf. Karuta biß die Zähne zusammen und stierte die Mutter mit nach oben verdrehten Augen starr an.
Ohne auch nur irgendeinen Gedanken zu fassen, stürzte ich mich auf die Mutter und schrie mit schriller Stimme. Ich wurde sofort angeherrscht: »Halt's Maul!« Heftig fortgestoßen, fiel ich hin und schrie dem Vater, der dahinter stand, unwillkürlich zu: »Ja, so helfen Sie doch!«
Da stieß mich die Mutter, anscheinend blind vor Zorn, mit Wucht die Treppe runter. In diesem Augenblick fühlte ich einen Schmerz, und ein knackender Laut aus meinem Bein schoß mir durchs Gehirn.
Als ich zu mir kam, lag ich im Krankenzimmer eines Arztes. Ich fing an zu wimmern, weil ich im rechten Bein einen ungewohnten Schmerz verspürte; da saß Karuta an meinem Bett und flüsterte mir ins Ohr:
»Der einzige Widerstand, den wir machtlosen Mädchen leisten können, ist, keinen Widerstand zu leisten, sosehr wir auch gequält werden.«
Die hat gut reden, die betrifft es ja nicht, aber ich konnte es vor Schmerzen kaum aushalten.
Um das gebrochene Bein zu richten, zerrte und drückte der Arzt daran herum. Wahnsinnig vor Schmerzen brüllte ich ihn an:
»Du Kurpfuscher, dreh mir lieber gleich den Hals rum!«
Tagsüber besuchte mich Karuta täglich, aber sonst war ich mir selbst überlassen. An das gebrochene Bein bekam ich eine Holzschiene gebunden, hatte schon mal 40 Grad Fieber und ertrug ganz allein meine Schmerzen. In Reichweite lag eine Rufglocke; die Krankenschwester hatte gesagt: »Ruf mich, wenn du was willst«, und war dann fortgegangen.
Es war wohl am 4. oder 5. Tag im Krankenzimmer. Mitten in der Nacht war ich aufgewacht, weil ich mal dringend mußte. Für so was war die Krankenschwester zuständig, aber sie schien mir nicht allzu nett zu sein und würde wohl ein saures Gesicht machen. Vor allem beim Austreten zu helfen, das macht doch wirklich keiner gern …
Ich versuchte also nach Kräften, den Drang zu unterdrücken, aber das war völlig aussichtslos. Weil ich nicht laufen kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Krankenschwester aufzuwecken. Tastend suche ich nach der Glocke, aber die ist nicht da. Ich gucke mich um und sehe sie an der Wand hängen, vom Licht einer trüben Lampe angeleuchtet.
Ohne aufzustehen ist sie für meine Hand ganz unerreichbar. Im Flur steht die Waschschüssel, lieber will ich da reinmachen. Mein rechtes Bein mit den Händen bewegend, krieche ich langsam bis nahe an die Schwelle, aber da, noch auf dem Weg, kann ich das Wasser nicht mehr halten.
»Jetzt kriege ich wieder geschimpft«, schwant mir, während ich langsam zum Bett zurückkrieche, und wütend auf mich selbst kann ich die Tränen nicht unterdrücken.
Am andern Morgen sagte die Schwester, als sie es merkte: »Dabei stehe ich doch auf, wenn du mich weckst, egal wie spät in der Nacht es ist«, wischte mit ärgerlichem Gesicht die Tatami ab, die von Pipi durchnäßt waren, und erwähnte mit keinem Wort die Tatsache, daß doch schließlich sie die Glocke vergessen hatte.
An diesem Tag beschloß ich, zwar vormittags zu essen, ab Mittag aber nichts mehr zu mir zu nehmen. Wenn ich was esse, kriege ich Durst auf Wasser und muß dann in der Nacht wieder Schlimmes ausstehen. Wenn Karuta kam, hatte sie jedesmal etwas für mich gekauft, aber ich habe es nicht gegessen.
Die Wundnarbe
Ich erzählte Karuta von dem Mißgeschick, das mir mit dem Pipi zugestoßen ist, aber sie antwortete nur einfach »ach ja« und ging dann wieder fort. In der folgenden Nacht aber, als ich schlief, weckte sie mich sachte.
»Tsuruchan, hast du noch Lust, in so einer Welt weiterzuleben? Ich bin gekommen, weil ich zusammen mit dir sterben will.«
»Wenn du sterben willst, sterbe ich mit dir«, sagte ich. Karuta löste ihren Obi, band mich auf ihren Rücken, und so gelangten wir beide zum Suwa-See. Es war ein windstiller Tag, die Weiden, die das Ufer des Sees säumten, standen reglos, das Wasser ruhte pechschwarz.
»Nicht im Suwa-See! Überall sonst soll es mir recht sein, nur nicht im Suwa-See!« wehrte ich mich da auf einmal hartnäckig und brach in Tränen aus.
Es heißt, daß im Suwa-See Drachen wohnen, und wenn Wasserleichen drin sind, werden die so wild, daß die Wasserleichen garantiert an die Oberfläche geschwemmt werden. Ich hatte Angst vor den Drachen. Naiv wie ich war, glaubte ich wirklich, daß da Drachen drin wohnten.
»Ja? Wenn du so dagegen bist, gehn wir halt zum Bahngleis«, sagte Karuta unschlüssig. »Wenn ich mich
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