Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
und dann empfiehlt sie mich weiter. Diese Bemühungen fruchteten mit der Zeit, und ich verkaufte mich immer besser.
Der heimliche Ort
Nachdem sie ihr Debüt als Geisha hinter sich hatte, machte Temari oft Ärger, indem sie ihren Mäzen verstimmte. Sie läßt ihn im Restaurant einfach sitzen und läuft fort. Vom Restaurant kommt eine Beschwerde zum Geisha-Haus, die Mutter wird wütend und schickt Temari wieder zum Restaurant. Da müßte sie längst eingetroffen sein, und doch kommt nach einer Weile wieder eine Mahnung. Kein Mensch weiß, wo sie abgeblieben ist …
Die Mutter bebt vor Zorn, aber es hilft nichts.
»Dieses Luder ist abgehauen. Meldet das der Polizei!« brüllt sie schließlich und läßt ihre Wut an jedem aus, der ihr in die Quere gerät. In dem engen Haus schleichen wir uns beinah unsichtbar umher, um ihr möglichst nicht ins Auge zu fallen. Eine Stunde vergeht, dann kommt die Nachricht vom Restaurant, daß sie eingetroffen sei, aber auch die Patronin des Restaurants ist fuchsteufelswild.
»Was haben wir uns für Mühe gegeben, um den Gast zum Bleiben zu bewegen! Das nächste Mal passen Sie gefälligst besser auf!« faucht sie unsere Mutter bitterböse an.
Es sich mit einem Restaurant zu verderben, ist für ein Geisha-Haus ein schwerer Verlust und gilt überdies als Schande. Die Mutter wartet mit juckenden Fingern darauf, Temari eine garstige Lektion zu erteilen, wenn sie am Abend zurückkommt, aber Temari ahnt das wohl und kommt die Nachtüber nicht nach Hause. Anderntags, als sie heimkommt, frage ich sie aus, was denn gestern abend mit ihr los gewesen ist.
»Och, nichts Besonderes. Nur der Kerl von gestern abend hängt mir schwer zum Hals raus. Der ist zwar seit meinem Debüt mein Mäzen, und einen Haufen Geld hat er auch … Aber soviel Geld der auch hat, ›ein widerlicher Herr Kunde ist eben widerlich‹«, sagt sie, mittendrin in den Geisha-Gesangsstil verfallend. »Ich wollte mal für mich allein über was nachdenken, bin in die Nacht rausgelaufen und war am heimlichen Ort.«
Der heimliche Ort, das ist ein Ort, den nur wir beide, Temari und ich, kennen.
Die Domäne von Suwa mit ihren 30 000 Koku ist von unbedeutendem Rang. Es heißt, man habe deswegen keine Kiefern anpflanzen können, sondern nur Zelkovienbäume. Von der Bahnschranke bis zum Burgpark ist die Ōtemachi-Allee von hohen Zelkovien gesäumt. Unter denen steht ein mächtiger Baum, der von der Wurzel an ein bißchen schief gewachsen ist, und auf den sind wir seit unserer Zeit als Lehrmädchen geklettert und haben es genossen, uns in seinem dichten Laub zu verstecken.
Rund einmal alle zwei Monate verschwindet Temari spurlos. Und wenn ich höre, daß Temari verschwunden ist, sause ich, auch wenn ich gerade beim Zashiki bin, sofort unter diesen Baum und rufe sie mit leiser Stimme.
»Tsuruchan, ist die Mutter wieder zornig?«
»Komm doch runter, Schwester!«
»Laß mich, ich habe mich gerade ausgeweint. Komm doch auch rauf! In der Nacht sieht Suwa von hier oben herrlich aus. Ein phantastischer Blick, ganz phantastisch! Das möchte ich dir auch gern zeigen.«
Ich binde mir also den langen Kimono-Saum am Rückenzusammen und klettere rauf, aber das geht nicht so leicht wie noch zur Lehrmädchen-Zeit, weil ich jetzt ganz anders gekleidet bin. Wie ich oben bin, ist die Aussicht wirklich überwältigend. Zwischen den Bäumen funkeln die Lichter der Stadt herüber, und die Leute laufen da unten wie Ameisen winzig hin und her. Der Burgpark ist zu sehen, und hinter dem Katakura-Haus schimmert das Wasser des Sees hervor. Ich vergesse ganz, daß ich gekommen bin, um Temari zu holen, und bin dabei, selbst dieser Faszination zu erliegen.
»Ist doch toll, findest du nicht auch? Leid und Kummer, alles löst sich auf. Du solltest auch ab und zu hier raufklettern und weinen. Wenn Menschen traurig sind, gibt's nichts Besseres, als von einer hohen Stelle aus die Welt zu betrachten!«
Das lehrte mich Temari, und wenn nur die Mühe des Rauf- und Runterkletterns nicht wäre, könnte man sich da oben wirklich wohl fühlen.
An diesem Abend ergab sich bei der Kundenbetreuung eine Fehlzeit von etwa 30 Minuten, weswegen mir die Patronin des Restaurants bitterböse Vorwürfe machte, aber die Mutter vom Takenoya setzte mir nicht so böse zu, wie ich gedacht hätte.
»Was führt ihr beiden eigentlich im Schilde? Wenn ich mal gut zu euch bin, werdet ihr gleich übermütig. Ich kann mich vor den Leuten dieses Restaurants nicht mehr blicken lassen.
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