Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
daß ich in die Nähe gekommen war, drehte sich abrupt nach mir um, die Augen voller Tränen, und starrte mir in die Augen, als wollte es sich daran festklammern. Um ihm zu zeigen, daß ich es gut meinte, setzte ich ein liebes Lächeln auf.
›Du armes Kind, ich will mich gut um dich kümmern …‹, schwor ich mir in diesem Augenblick tief im Innern.
Die Mutter sagte: »Steck das Kind ins Bad!«
Im Bad erfuhr ich allerlei über sie. Sie hieß Michiko, hatte die Volksschule abgeschlossen und war 14 Jahre alt. Die Kleidung, die sie trug, als sie hergekommen war, sagte sie, sei Kinderkleidung gewesen, aus der Nachbarschaft geborgt, die der Vater beim Fortgehen wieder mitgenommen hatte.
Michiko bekam die Sachen angezogen, die ich in meiner Lehrmädchen-Zeit getragen hatte. Sie tat mir schrecklich leid, als ich bedachte, daß von jetzt an wieder jemandem dasselbe Schicksal der Unterwerfung bestimmt sei wie mir.
›Heute ahnt sie noch nichts davon und fühlt sich nur verlassen, aber von morgen an wird sie Tag für Tag von Kummer gepeinigt heimliche Tränen vergießen …‹, dachte ich und wollte ihr so gut es geht beistehen.
Zu jener Zeit war Takechiyo schon »Kanbangari« geworden, und weil sie eine Angeberin war, stand es fest, daß Michiko von ihr wieder gepiesackt würde. Seit ich als Nachwuchs-Geisha zum Engagement feilgeboten wurde, ist mir von keiner mehr etwas angetan worden, und ich selbst bemühte mich nur eifrig, Umsatz zu machen, ohne gegen irgend jemand aufzumucken. Seit Michiko im Haus war, habe ich beim Zashiki , wenn mir ein Kunde oder eine andere Geisha auftrug, vom Kontor eine Anzahl einzelner Zigaretten zu holen, eine mehr besorgt und mir in den Ärmel gesteckt, wenn immer ich glaubte, es dürfte wohl nicht auffallen, und wenn Takechiyo in der Nacht, wenn wir zurückkamen, Michiko befahl, Zigaretten kaufen zu gehen, habe ich ihr die dann gegeben und ihr geraten:
»Nimm die hier, lauf bis zum Tabakladen, komm dann zurück und tu so, als hättest du sie gekauft!«
Wenn man zu zwei oder drei Zashiki geht, bekommt man garantiert ein paar Tafeln Schokolade oder Bonbons zugesteckt. Solange man Nachwuchs-Geisha ist, darf man sich auf gar keinen Fall einen Diamantring oder andere teure Sachen wünschen, auch wenn ein Kunde sagen sollte: »Ich kauf dir alles, was du willst. Was magst du am liebsten?«
Wenn man dann nicht mit kindlich-süßer Stimme sagt: »Ein Stückchen Kuchen« oder »Schokolade«, dann freut der sich nämlich nicht. Die Schokolade und die Bonbons, die ich auf diese Weise bekommen habe, habe ich an Fusachan, das Mädchen, das bei dem Friseur, zu dem ich immer gehe, das Kind hütet, und an Michiko verschenkt. Weil ich als Kindermädchen immer hungrig gewesen bin, glaubte ich, daß Fusachan sicher auch hungrig ist.
Damals gab es einen komischen Gast, der behauptete, er sei Saigō Takamori , und den wir deshalb »Herrn Sa« nannten. Der rief niemals Geisha, sondern engagierte immer zweioder drei Nachwuchs-Geisha und hatte seine Freude dabei, uns im Kaufhaus Shirokiya Kimono-Kragenstücke oder Steckkämme zu kaufen, mit uns im Gefolge am hellichten Tag durch die Stadt zu laufen, und an Tagen, an denen Pferderennen stattfanden, uns in Wagen mit Chauffeur zu setzen und Wettscheine kaufen zu lassen, ohne selber welche zu kaufen. Weil dieser Gast etwa einmal im Monat auftauchte, ließ ich mir jedesmal irgend etwas kaufen, was Fusachan sich wünschen mochte, beispielsweise im Winter rote Söckchen.
Mizuten
Als das Jahr allmählich zu Ende ging, kam wieder eine ausgebildete Geisha neu zu uns. An dem Tag, als sie ins Takenoya kam, fragte der Patron sie nach ihrem Künstlernamen; sie stellte sich dumm und sagte:
»Ich habe doch keinen Künstlernamen. Was ich zugeteilt kriege, wo ich hinkomme, ist mein Name.«
Ihr Debüt hat sie dann unter dem Namen Sennari begangen, aber seit jenem Abend blieb sie so gut wie jede Nacht über außer Haus und schlief kaum je im Geisha-Haus.
Geisha, die mit jedem beliebigen Mann schlafen, heißen Mizuten , aber seinerzeit schliefen Geisha, die als erstklassig galten, nicht mit allen möglichen Männern. Die meisten Geisha finden schnell einen festen Mäzen, wenn sie voll ausgebildet sind, und wenn er lukrativ ist, haben sie nur den einen. Wenn sie finanziell klamm sind und damit nicht auskommen, haben sie zwei oder drei feste Partner. Mit anderen Männern schlafen sie nicht. Darüber wird das Kenban von der Patronin des Geisha-Hauses diskret in Kenntnis
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