Die letzte Lagune
steht,
Commissario?»
Tron nahm das
Manuskript, blätterte und hatte die Stelle ganz am Ende
schnell gefunden. «Hier ist es», sagte er. «Limbo ultima
aestuaria. Am Rand der letzten Lagune. Contarini hat wörtlich
übersetzt.»
«Aber wo soll
das sein? Am
Rand der letzten Lagune?»
«Vermutlich ist
die Lagune gemeint, die am weitesten von der Stadt entfernt
ist», sagte Tron.
«Also im
Süden. Vor Chioggia.»
Tron schüttelte
den Kopf. «Chiogga war selbständig, und die Ufer der
südlichen Lagunen waren kein Teil der Republik. Zanetto Tron
wird sich mit seiner Beute kaum auf fremdes Territorium begeben
haben.»
«Also
müssen wir im Norden suchen.»
«Ja, sicher. Die
Frage ist nur, wo Anfang des 13. Jahrhunderts die Uferlinien
verlaufen sind. Die Lagune war damals größer. Und die
Süßwasserlagunen im Norden sind besonders stark
geschrumpft.»
«Also ist heute
Festland, wo früher das Ufer verlief?»
Tron nickte.
«Auf jeden Fall.»
«Was spielt sich
da oben eigentlich ab?»
«Landwirtschaft»,
sagte Tron. «An den Ufern wird gefischt. Und es gab immer
Hütten, die zum Jagen benutzt wurden.»
«Was jagen die
Leute da?»
«Rotwild
vermutlich nicht. Es gibt keinen Wald.»
«Enten?»
Tron hob die
Schultern. «Vielleicht. Jedenfalls liegt der ehemalige Rand
der nördlichen Lagune jetzt weit im Inneren des
Landes.»
«Das würde
dann auch für die Gebäude gelten», sagte Bossi,
«die damals am Rand der Lagune gestanden
haben.»
Tron nickte.
«Natürlich. Abgesehen davon, dass wir über ein
Gebäude reden, das Anfang des 13. Jahrhunderts dort gestanden
hat», sagte er. «Und das wird kaum noch
existieren.» Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Enten! «Moment mal,
Bossi. Sagten Sie eben Enten?»
«Warum fragen
Sie?»
«Wir haben ein
Haus dort», erwiderte Tron. «Ich hätte eigentlich
sofort darauf kommen müssen. Die Casa dei
Tuffi.»
«Das
Entenhaus?»
Tron nickte.
«Eine ehemalige Jagdhütte. Südlich von Chiesa
Nuova. Die Casa dei Tuffi steht auf dem
Gelände eines Gutshauses, das uns gehört. Das alles ist
an einen Landwirt verpachtet, der dort Gemüse anbaut. Ich
glaube, er benutzt das Entenhaus als
Geräteschuppen.»
«Seit wann
besitzen die Trons diese Gebäude?»
«Schon immer.
Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Bossi. Ich bin auch einmal als
Kind mit meinem Vater dort oben gewesen. Damals sagte er, dieses
kleine Haus sei älter als der Palazzo Tron.»
«Wie sieht es
aus?»
«Klein mit
dicken Mauern. Vielleicht so groß wie diese Wohnung hier. Die
Frage ist, ob Contarini inzwischen weiß, dass es sich bei dem
Haus, von dem in den Aufzeichnungen die Rede ist, um die Casa dei
Tuffi handeln
könnte.»
«Dann ist er
entweder bereits dort gewesen oder wird es bald sein», sagte
Bossi.
Tron nickte.
«Und deshalb sollten wir dem Pächter so schnell wie
möglich einen Besuch abstatten.»
«Wie kommen wir
dorthin?»
Tron überlegte
einen Moment. «Wir könnten in Fusina eine Pferdekutsche
nehmen und am Westrand der Lagune nach Norden
fahren.»
«Auf der Via
Triestina?»
Tron nickte.
«Die Straße ist offen. Das Militär benutzt sie, um
Lebensmittel nach Venedig zu transportieren. Auf jeden Fall sollten
wir bis Chiesa Nuova kommen. Wenn die Kutsche dort nicht
weiterfahren kann, müssen wir zu Fuß zur Casa dei
Tuffi gehen.»
«Das wird ein
Tagesausflug, Commissario.»
«Ich
weiß», sagte Tron.
«Sagen wir Spaur
Bescheid?»
Tron schüttelte
den Kopf. «Für Spaur ist die Angelegenheit
erledigt.»
«Wann brechen
wir auf?»
«Wir nehmen
morgen um zehn den Zug nach Verona. Dann sind wir ein paar Minuten
später auf der anderen Seite der Lagune. Wir treffen uns am
Bahnhof.»
50
Hätte ihn jemand
um Auskunft gebeten, dann wäre Tron nicht in der Lage gewesen,
die am Nordrand der Lagune gelegene Gegend zu beschreiben. Nur dass
sie flach und dünn besiedelt sei, hätte er sagen
können, und dass dort die Straße nach Triest verlaufe,
die Via Triestina. Eine Straße, hätte er noch
hinzufügen können, die kein Mensch benutze, weil es
praktischer sei, nach Triest den Raddampfer zu nehmen. Das aber war
im Moment definitiv nicht möglich, und nach der Einstellung
des Schiffsverkehrs war die Via Triestina zusammen mit der
Eisenbahn Venedigs wichtigste Verbindung mit der Außenwelt.
Das planierte Gelände zwischen dem Bahnhof und der Kaserne der
Kroatischen Jäger, normalerweise gähnend leer, war jetzt
geradezu belagert von Dutzenden Pferdegespannen. Überall
standen Gruppen von Zivilisten
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