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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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und Soldaten und wärmten sich
an kleinen Feuern, deren Rauch in die eiskalte Luft stieg. Tron und
Bossi nahmen eine Mietkutsche mit geschlossenem Verdeck, und die
nächsten anderthalb Stunden fuhren sie schweigend durch eine
Landschaft, aus der alle Farbe gewichen war. Eine Horizontlinie war
nirgendwo zu erkennen, das Hellgrau der sie umgebenden
Schneeflächen verschmolz übergangslos mit dem Hellgrau
des Himmels.      
    Chiesa Nuova war ein
Nest, das lediglich aus einer kleinen Kirche und ein paar
Häusern bestand. Da der Kutscher sich weigerte, den
unbefestigten Weg zu befahren, der zum Pachthof der Trons führte,
gingen sie die restlichen tausend Meter zu Fuß - durch ein
vollständig flaches Gelände, vorbei an
Entwässerungsgräben, die unter der Schneefläche nur
als schnurgerade, flache Senken zu erkennen waren. Als sie
näher kamen, sahen sie, dass hinter dem Hof, in vielleicht
hundert Schritten Entfernung, ein kleines Haus stand, aus dessen
Schornstein eine dünne Rauchsäule in den Himmel stieg. Es
konnte sich nur um die Casa dei Tuffi handeln. Tron fragte
sich, aus welchem Grund sich jemand die Mühe machte, dort zu
heizen.
    Der Pachthof selber
erwies sich als zweistöckiges Gebäude mit einem
Flügel, sodass sich eine Art Hof ergab, auf dem eine leere
Hundehütte und ein altmodischer zweirädriger Wagen
standen. Von der Fassade blätterte der Putz, und Tron sah,
dass die Fenster des oberen Stockwerks mit Brettern zugenagelt
waren. Das einzig Solide an diesem Haus schien die große
eisenbeschlagene Eingangstür zu sein.
    Tron klopfte, und es
dauerte fast eine Minute, bis sich die Tür öffnete und
eine Frau auf der Schwelle erschien, die in seinem Alter sein
mochte. Sie war klein, ihr Kopf reichte höchstens bis zu
seiner Schulter. Der Körper darunter schien in mehrere Lagen
wollener Kleider gehüllt zu sein, um den Hals trug sie einen
Schal. Hinter ihr, mitten im Raum, stand ein großer Tisch, an
dem ein dicker Mann saß. Der Mann, vermutlich Signor Alberti,
der Pächter, hielt eine Perlenkette in der Hand und blickte
ihnen gespannt entgegen. Auf dem Tisch, gut beleuchtet von einer
Petroleumlampe, waren große Pappschachteln zu erkennen. Neben
den Schachteln lagen farblich geordnete Reihen von
Glasperlenketten. An der Wand hinter Signor Alberti lehnten ein
paar Holzkrücken. Etwas Graues mit einem langen Schwanz
huschte über den Fußboden und verschwand unter dem Herd.
Aber vielleicht, dachte Tron, hatte er sich auch
getäuscht.
    «Ich hatte Sie
eigentlich gestern erwartet», sagte Signor Alberti zu Tron.
Und dann zu Signora Alberti: «Lass die Signori herein, Maria.
Wir können es uns nicht leisten, den Hof zu
heizen.»
    Als Tron und Bossi
eingetreten waren, wandte sich Signor Alberti wieder an Tron.
«Es sind genau zweihundert Stück», sagte er, indem
er auf die Schachteln deutete, die vor ihm auf dem Tisch standen.
«Die Perlen mit den schlechten Bohrungen habe ich wieder
aussortiert, es sind aber diesmal nicht viel. Und dann reißt
die neue Perlseide zu oft. Ich würde vorschlagen, dass wir uns
darauf...»
    Tron hob die Hand, um
den Redefluss zu unterbrechen. «Moment. Wen hatten Sie denn
erwartet, Signor Alberti?»
    Signor Alberti
runzelte die Stirn. «Sie sind nicht aus
Murano?»
    «Nein»,
sagte Tron. «Warum?»
    Signor Alberti
stieß einen Seufzer aus. «Wir fädeln im Winter
Perlen auf», sagte er knapp. «Und wir warten jetzt auf
neue Perlen und auf das Geld.» Offenbar ging er davon aus,
dass damit alles erklärt war.
    Tron nickte.
«Ich verstehe.»
    Eigentlich verstand er
es nicht ganz, denn das Auffädeln von Perlen - ein diffiziles
Geschäft - war traditionellerweise die Aufgabe von Kindern.
Die Schwierigkeit lag darin, die Knoten zwischen den Perlen so
dicht an die Perlen zu setzen, dass sie einen möglichst
geringen Abstand zueinander hatten, und dazu brauchte man kleine
Hände - die Hände von Kindern. Mein Gott, dachte Tron und
fühlte sich unwillkürlich schuldig. Was nehmen wir diesen
Leuten eigentlich an Pacht ab? Viel konnte es aber nicht sein. Die
Contessa hatte einmal erwähnt, dass die Einnahmen aus dem
Pachthof kaum die Grundsteuern deckten.
    «Und wenn der
Signore aus Murano nicht kommt?»
    Signor Alberti zuckte
die Achseln. «Dann hungern wir», sagte er sachlich.
«Aber wenn Sie nicht aus Murano sind -was wollen Sie von
uns?»
    «Ich bin Alvise
Tron, Commissario von San Marco», sagte Tron, «und das
ist Ispettore Bossi.»
    Signor Alberti hob
überrascht das Kinn. «

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