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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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nachdem
er zur Begrüßung die Hand an den Schirm seiner
Uniformmütze gelegt hatte. «Er hat Ihr Fenster
aufgehebelt und ist nach oben marschiert. Dann hat er den Pokal aus
der Vitrine in der sala genommen und ist wieder
verschwunden.»
    «Wer könnte
ein Interesse daran haben, bei uns einzubrechen?»
    «Das ist die
Frage, die ich Ihnen stellen wollte,
Commissario.»
    «Und die ich
nicht beantworten kann», sagte Tron. «Fast alles, was
irgendeinen Wert hatte, ist im Laufe der Jahre verkauft worden. Wir
sind keine reichen Leute.»
    «Und dieses
Glas, das der Dieb mitgenommen hat? Die Contessa hat sich nicht
klar dazu geäußert.»
    «Das Glas ist
der Prototyp eines Eisbechers, den die Contessa auf den Markt
bringen will. Auf alt getrimmtes Opalglas, das in Kroatien
produziert wird, weil die Löhne in Murano zu hoch sind. Am
Donnerstag soll in der sala eine Präsentation
stattfinden. Eingeladen sind die Presse und die Vertreter
großer ausländischer Warenhäuser. Bon Marche aus
Paris, Harrods aus London, Sacks aus New York.»
    «Was wird jetzt
daraus?»
    «Die
Präsentation findet statt. Das gestohlene Glas war nicht der
einzige Prototyp. Und offenbar sind alle wichtigen Teilnehmer schon
in Venedig eingetroffen, bevor der Schienenverkehr eingestellt
wurde. Wo ist die Contessa?»
    «In ihrem
Salon.»
    «Und wie ist sie
gestimmt?»
    Bossi überlegte
einen Moment. «Die Stimmung der Contessa ist
mäßig.»
    *
    «Na
endlich!», rief die Contessa, als Tron über die Schwelle
ihres Salons trat. «Ich dachte schon, du kämst
nie.»
    Die Contessa saß
auf einem zerschlissenen Fauteuil, vor sich, auf einem kleinen
Tischchen, ein Teeservice, eine Karaffe mit Cognac und daneben
einen gläsernen Pokal - ein weiteres Exemplar des geraubten
Prototyps. Alessandro, der eine dicke Wolljacke über seine
Livree gezogen hatte, stand hinter der Contessa und verdrehte
entnervt die Augen.
    Obwohl die Contessa
die siebzig bereits überschritten hatte, bot sie mit ihren
sorgfältig frisierten grauen Haaren ein Bild wohlerhaltener
Eleganz. Ihre Beine ruhten auf einem gepolsterten Schemel,
eingeschlagen in eine Decke und flankiert von zwei scaldini. Ein Geruch von
feuchter, billiger Holzkohle und Cognac lag über dem Raum.
Offenbar hatte die Contessa ihren Tee großzügig
aufgehübscht. Es war kalt im Salon, allerdings nicht so kalt,
dass der Atem vor dem Mund kondensierte.
    «Dein
Vater», fuhr die Contessa Tron fort, «hat auch für
alles immer doppelt so lange gebraucht wie normale
Menschen.»
    «Ich musste zu
Fuß gehen, und mein Knöchel ist immer noch
lädiert», sagte Tron.
    Die Contessa machte
eine ungeduldige Handbewegung. «Dann setz dich und trink
einen Schluck Tee. Nimm einen von den baicoli.»
    Der Tee war lauwarm,
die baicoli steinhart und antik, wie alles im
Palazzo Tron. Jedenfalls bis auf den Pokal, der schimmernd neben
dem Teeservice stand. Tron fand schon die Vorstellung unangenehm,
sein Eis aus einem solchen Gefäß essen zu müssen.
Die matt in den Salon fallende Wintersonne verlieh dem Schimmer
etwas Schleimig-Lebendiges.
    «Wir haben ein
halbes Jahr lang experimentiert, um diesen Effekt
hinzubekommen», sagte die Contessa. «Der Schimmer
entsteht durch winzige Quarzkörner in der Glasmasse. Durch die
mattierte Oberfläche wirkt das Glas antik.»
    Tron nahm den Pokal in
die Hand und stellte fest, dass er sich klobig anfühlte. Der
eingeprägte Stempel am Fuß des Glases - Made in
Venice -
fehlte noch. Das Glas sah ausgesprochen primitiv aus - billiges
Pressglas, produziert zu kroatischen Löhnen. Die Contessa
würde Riesenmengen davon absetzen müssen, um einen Profit
zu erzielen. Das Ding war genauso furchtbar wie die gläsernen
Gondeln, die sie vor zwei Jahren auf den Markt gebracht hatte.
Allerdings hatten sich die Gondeln glänzend
verkauft.
    «Das Glas ist
hübsch», sagte Tron lahm.
    Die Contessa, der
Trons mangelnde Begeisterung entgangen war, nickte verträumt.
«Es hat etwas Geheimnisvolles, Magisches», sagte sie.
«Es könnte auch aus dem Mittelalter stammen.» Ihr
Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an. «Der Zauber
Venedigs - Old
Europe.»
    «Wie
bitte?»
    Die Contessa sah Tron
an wie einen Erstklässler. «Das ist Englisch, Tron. Altes
Europa. Wir
produzieren hier keine neuen, sondern antike Sachen. Kein Wunder, dass
Marchmain den Prototyp haben will. Die Vorstellung, dass er schon
dabei ist, das Glas zu analysieren, macht mich
krank.»
    «Willst du damit
andeuten, dass Marchmain hinter diesem

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