Die letzte Lagune
würden.»
Tron schüttelte
den Kopf. «Dr. Flyte hegt im Ognissanti. Ich habe ihn dort
heute Vormittag besucht.»
«Im Ognissanti?
Ist das nicht ein Krankenhaus? Was ist denn
passiert?»
«Jemand hat
gestern Abend auf ihn geschossen», sagte Tron.
«Glücklicherweise traf die Kugel ein Zigarettenetui in
seiner Brusttasche.»
Lodron schien ehrlich
bestürzt zu sein. «Jemand hat auf ihn
geschossen?»
Tron
nickte.
«Hat Dr. Flyte
den Mann erkennen können?»
«Der Mann hat
eine Maske getragen», sagte Tron. «Aber er war so
unvorsichtig, etwas zu sagen. Er hat zwar geflüstert, aber es
war zu hören, dass er lispelt.»
Auf Lodrons Lippen
zeigte sich ein hauchdünnes Lächeln. «Ich
stoße auch hin und wieder mit der Zunge an.»
«Darauf hat mich
Dr. Flyte hingewiesen», sagte Tron. «Er glaubt,
dass Sie auf ihn gefeuert
haben.»
Lodron lachte auf.
«Das ist absurd.»
«Die beiden
Kroatischen Jäger, die Flyte gerettet haben, konnten genau
angeben, wann sie ihn gefunden haben», sagte Tron. «Da
Flyte höchstens vier Minuten im Schnee gelegen hatte,
lässt sich der Zeitpunkt des Anschlags ziemlich präzis
bestimmen. Es muss kurz vor achtzehn Uhr gewesen sein.» Tron
sah Lodron an. «Im Idealfall waren Sie zu diesem Zeitpunkt in
Gesellschaft des Polizeipräsidenten. Oder haben in Gegenwart
von Zeugen im Danieli gespeist.»
«Im Idealfall,
Commissario, hätten wir beide miteinander gespeist»,
sagte Lodron. «Aber ich kann Ihnen keinen Idealfall bieten.
Ich habe einen Spaziergang über den Canalazzo gemacht. Bis zur
Ponte Rialto und zurück. Vermutlich gehöre ich damit zum
Kreis der Verdächtigen.»
26
Die Tür war nicht
getarnt, sondern von Natur aus unauffällig. Es war eine ganz
normale Tapetentür im oberen Foyer des Fenice, grün
gestrichen, durchlaufen von einer hölzernen Stuckleiste und
ein wenig verdeckt durch eine Säule aus istrischem Marmor. An
die hatte er sich gelehnt, war dann aber einen Schritt
zurückgetreten, um einer Dame in einer Krinoline Platz zu
machen. Es war reiner Zufall gewesen, dass er dabei die Tür
mit dem Rücken berührte und, als sie nachgab,
feststellte, dass sie nicht verschlossen war. Der Raum, zu dem die
Tapetentür führte, war ein fensterloser Vorratsraum.
Getränkekisten stapelten sich zu beiden Seiten an den
Wänden, auf einem Tisch in der Mitte standen
Champagnerflaschen.
Eine Tür, die
jetzt geschlossen war, führte zum Schankraum des Foyers.
Dieses kleine Kabuff, hatte er sich gesagt, war sicherlich kein
ideales chambre separee. Aber es war leicht
erreichbar, unauffällig zu betreten - ein idealer Ort für
kurze, diskrete Begegnungen. Und dann war ihm ein Gedanke gekommen
- ein außerordentlich reizvoller Gedanke. Natürlich
hatte DER HERR ihn diesen Gedanken denken lassen.
Der Mann, der heute
einen schwarzen Gehrock trug, öffnete die Augen, um wieder dem
Bühnengeschehen zu folgen. Lohengrin und Elsa machten sich auf
dem Sofa an die «Wonnen, die nur Gott verleiht». Zuerst
umschlangen sie sich nur oben, die unteren Körperteile
saßen nach Möglichkeit voneinander entfernt. Je mehr sie
aber sangen, desto mehr schoben sich auch die unteren
Körperteile aufeinander zu, und Lohengrins Hand landete
schließlich wie zufällig auf Elsas Schenkel. Dabei
überzogen sich ihre Gesichter, ungeschminkt und blass, immer
mehr mit hektischen Flecken. Das war selbst von der fünften
Reihe aus gut zu erkennen. Lohengrin trug einen braunen Gehrock,
dazu einen offenen Kragen, um stimmlich nicht behindert zu sein.
Elsa hatte ein gelbes Hängekleid angezogen und darunter ein
Gestell umgeschnallt, bei dem es sich offensichtlich um ein
Frontkorsett handelte. Es war keine gute Idee, dachte er, der
Generalprobe mit geöffneten Augen zu folgen.
Da es am Fenice nicht
üblich war, bei Generalproben die Logen zu öffnen,
saßen die Zuschauer im Parkett - einem dicht besetzten
Parkett, aus dem immer wieder spontaner Beifall aufbrandete.
Niemand im Orchester trug Frack. Die Musiker spielten in
Gehröcken, und auch das Publikum war in schlichter
Straßenkleidung erschienen. Maskierte Besucher waren kaum zu
sehen, er ging aber davon aus, dass es morgen auf der Premiere
anders sein würde. Angeblich gingen den Kostümverleihern
bereits die Lohengrin-Kostüme aus.
Lohengrin, der morgen
am Premierenabend sorgfältig geschminkt sein würde, sang
jetzt «An meine Brust, du Süße, Reine» und
zog Elsa sanft an sich. Der Mann in dem schwarzen Gehrock stellte
fest, dass die hektischen Flecken
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