Die letzte Lagune
das Perspektiv bot, über
Wände aus bemalter Pappe gleiten, über ein Erkerfenster,
hinter dem ein Gaslicht flackerte, und über das goldene
Schwert, das Lohengrin abgelegt hatte. Schließlich landete
sein rundes Blickfeld auf dem Sofa, wo sich der Ritter gerade alle
Mühe gab, Elsa zu beruhigen: Halt ein, dich so zu
quälen.
Aber durch das
Perspektiv der Principessa betrachtet, machte Elsa kein
gequältes Gesicht, sie schien das öffentliche
Beisammensein mit ihrem Geliebten eher zu genießen.
Unvorteilhaft waren die verlaufene Schminke in ihren Mundwinkeln
und die dunklen Ringe unter ihren Augen, genauso wie die
bräunlich schadhaften Zähne ihres Partners, des
Schwanenritters.
«Elsa ist nichts
für die Nahsicht», kommentierte Tron, ohne das Fernrohr
wieder vom Auge zu nehmen. «Sie sieht ausgesprochen ungesund
aus.»
Jetzt schien Elsas
Gespräch mit dem frisch angetrauten Lohengrin einen
unbefriedigenden Verlauf zu nehmen. Sie warf dem Schwanenritter
vor, er beabsichtige, sich gleich wieder davonzustehlen, und wurde
hysterisch. Sie sang: Der Schwan! Der Schwan! Du
rufest ihn - schon zieht herbei der Kahn! Worauf Lohengrin singend
antwortete: Elsa, halt ein! Beruhige deinen
Wahn!
Dabei wurde die Musik
dramatisch, und eine Welle der Erregung lief durch die
Pauschaltouristen, die in einer zusammenhängenden Gruppe auf
der linken Seite des Parketts saßen. Tron hatte sie bereits
in der Pause bemerkt: vier Dutzend Fremde, die einen Besuch des
Fenice gebucht hatten und von ihren Hotels mit einer billigen
Maskierung ausgestattet worden waren. Die Herren trugen
Schwanenhelme aus Pappe, die Damen mittelalterlich wirkende
Umhänge. Jetzt hielten die Herren die goldenen
Pappflügelhelme auf dem Schoß und waren sorgfältig
bemüht, sie nicht zu beschädigen, da sie zweifellos als
Souvenir mit nach Hause gebracht werden sollten.
Gelassener auf das
Bühnengeschehen reagierte das offizielle Venedig, das
vollzählig zur Premiere erschienen war. Tron sah den
Stadtkommandanten Toggenburg in seiner Loge, zusammen mit zwei
Damen in aufwendigen Krinolinen und zwei bärtigen,
älteren Generälen mit blitzenden Monokeln, die ganz
offensichtlich Gefallen an der Darbietung fanden. Die Sache war
eindeutig nach ihrem Geschmack: Schilde und Schwerter,
viel rasselndes Blech und hochgehaltene Banner. Abgesehen davon
schien ihre Teilnahme am Bühnengeschehen eher
mäßig. Die Herren rauchten Zigarren und tranken, ein
Adjutant war damit beschäftigt, die Champagnergläser zu
füllen.
Zwei Logen weiter war
Spaur zu erkennen, an seiner Seite die junge Baronin. Wie erwartet,
hatte der Polizeipräsident sich nicht entblödet, einen
goldenen Schwanenhelm aufzusetzen. Da hinter ihm niemand saß,
dem er die Sicht verdeckte, trug er den Helm auch während der
Vorstellung. Die Baronin, offenbar im Voraus über die
Kostümierung der Sänger informiert, hatte sich als Elsa
herausgeputzt. Sie trug eine blonde Perücke mit Zöpfen.
Darunter befand sich Marchmains Loge. Dieser direkt gegenüber
lag die Loge lytes. Beide, Onkel und Neffe, trugen Schwanenhelme
und Halbmasken, wobei Flytes Halbmaske eine glitzernde Einfassung
um die Augen besaß.
Ein Drittel des
Parketts war von kaiserlichen Offizieren besetzt, die jedes Mal in
Beifall ausbrachen, wenn der König das Wort deutsch sang. Tron sah die
hellblauen Uniformen der Innsbrucker Kaiserjäger, die
Tigerfelle der Honved-Husaren und die grünen Uniformjacken der
Linzer Dragoner. Selbstverständlich beachtete niemand das
Rauchverbot. Bossi, dessen dunkelblaue Uniform mit ihren blitzenden
Messingknöpfen einen starken Einschlag ins Opernhafte hatte,
saß im Parkett, gut erreichbar auf einem Sitz am Gang. Er war
für die abendliche Polizeibereitschaft
zuständig.
«Interessant», sagte
Tron.
«Was?»
«Marchmain hat
gerade Besuch von einer Dame bekommen. Sie hat sich neben ihn
gesetzt.»
«Kannst du
erkennen, wer es ist?»
«Ihr Gesicht
kann ich nicht erkennen. Sie trägt eine baùta. Und ein dunkelblaues
Kleid mit weißen Applikationen am Kragen. Dazu Handschuhe,
die bis über die Ellenbogen gehen.»
«Ist sie
jung?»
«Es sieht so
aus.»
«Dann ist sie
es», sagte die Principessa. «Ich dachte, sie sitzt im
Parkett zusammen mit diesem Lime.»
«Wer?»
«Holly Parker.
Du hast mir die beiden doch gezeigt. Sie trug ein dunkelblaues
Kleid mit weißen Applikationen. Und genau die Handschuhe, die
du beschreibst. Was machen sie?»
«Sie reden. Nein
- Moment mal. Jetzt sieht es fast so aus, als
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