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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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anderen im Weg stand. Und nie hatte einer der beiden versucht, ihn von etwas anderem zu überzeugen.
    Ohne Wannes und mit Wannes, das waren zwei verschiedene Mütter. Erstere gab es nicht mehr, und Letztere kümmerte sich nicht um ihn.
    »Und – hat dir der Urlaub ein bisschen gefallen?«, fragte sie mit ihrer sanftesten Stimme.
    Die Hemden waren gefaltet, jetzt kamen die Hosen.
    »Unglaublich, nicht wahr, dass wir auf einmal so in Urlaub fahren können, ins Ausland auch noch, wo wir früher nie Geld hatten, nicht mal für ein Törtchen, wenn’s uns beim Bäcker aus dem Schaufenster angelacht hat.«
    Sie wollte irgendwas. Wollte auf irgendetwas hinaus.
    »Da siehst du, was für ein Glück wir mit Wannes gehabt haben, du genauso wie ich.«
    Da war es schon!
    »Ein hart arbeitender, pflichtbewusster Mann. Immer pünktlich zu Hause, immer zur Stelle. Nie ein Glas über den Durst, nie ein zu lautes Wort. Ich krieg ja leider langsam Arthrose, aber eigentlich kann ich gar nicht genug knien, um dem Herrgott zu danken, dass ich diesen Mann gefunden habe.«
    Gab es die denn, Dankgebete dafür, dass man einen Mann findet?
    Sie liebe ihn. Liebe ihn wirklich, aus tiefster, allertiefster Seele.
    »Und meinst du nun nicht, dass du dir ein bisschen mehr Mühe geben könntest, Wannes auch etwas Dankbarkeit zu zeigen?«
    Ach, die Leier also!
    »Weißt du, Jimmy, Wannes leidet darunter, dass du so distanziert zu ihm bist. Ich frag mich übrigens auch schon, warum. Hat er dir etwas getan? Ich meine nicht!«
    Inzwischen waren auch die Hosen zu Ende gefaltet und eingepackt. Unglaublich, wie sie das machte!
    »Aber, na ja, jetzt mal was anderes, wir wollen den schönen Urlaub doch nicht mit Trübsinn beenden … Ich möcht dich was fragen.«
    Ha, das konnte interessant werden. Was fragen …
    »Was fragen, ja. Sag: Findest du Kenneth eigentlich einen schönen Namen?«
    »Kenneth … Mal nachdenken … Soll das für ein Parfüm sein?«
    »Du Quatschkopp!«

Kapitel 33
    W ie fast alle Kinder fand auch Jimmy es herrlich, auf Bordsteinen und anderen Rändern zu balancieren. Ein Seiltänzer des Alltags, der in seiner sich allmählich verabschiedenden kindlichen Phantasie der Vorstellung folgte, auf die Straßensteine zu treten bedeute den Tod. Drei Leben hatte er, viel zu wenig natürlich, doch es musste ja spannend bleiben. Auf dem Schulweg versuchte er immer, so weit wie nur möglich zu hüpfen, ohne das Pflaster, das billige Symbol des Banalen, zu berühren. Dieses Spiel spielte er auch sonst fast überall, zum großen Ärger seiner Mutter, die diese alberne Zirkusnummer vor allem hinderlich fand. Auch auf der Tour zum Höchenschwander Berg sprang er von Stein zu Stein, eines direkten Nachfahren des Steinbocks würdig, und tat alles, die Berührung mit dem ordinären Wanderweg zu vermeiden. Er hörte seine Mutter lamentieren: »Wenn du dir jetzt den Fuß verstauchst, kriegst du von mir noch ’ne Backpfeife dazu!« Doch er schlug ihre Warnung in den Wind und arbeitete sich juchzend nach oben, wo er als Erster anzukommen hoffte.
    Alles und jeden hatte er aus den Augen verloren – so sehr auf seine Sprünge und den zu verfolgenden Weg konzentriert, dass er an nichts anderes mehr dachte –, als er offenbar auf einmal, rutsch!, eine falsche Bewegung machte oder etwas unter seinen Füßen wegrollte, kann auch sein, es ging jedenfalls alles sehr schnell, und er nur noch mit den Händen am Fels hing.
    Doch immerhin noch mit den Händen am Fels hing.
    Es musste ein bilderbuchreifer Reflex gewesen sein, eine unbewusste Reaktion, die einem fast wieder den Glauben an Schutzengel zurückgeben konnte. Auf jeden Fall hatte er sich an den Felsen geklammert, ohne richtig sagen zu können, wie es gekommen war. Das Wichtigste jedoch, vorläufig, war, dass er sich festgeklammert hatte. Dass seine offenbar selbständig arbeitenden Hände sich in die Wand des Höchenschwander Bergs gekrallt hatten. Gerettet war er zwar damit noch nicht, aber es war ein Anfang. Oder besser: Es konnte einer werden.
    Seine Füße strampelten noch in der Luft, er musste unbedingt einen Halt für sie finden.
    Unter ihm lag ein Dorf, nicht das hässlichste, und er spürte, wie es ihn dorthin zog.
    Uff, er hatte etwas für seine Füße gefunden. Viel war es nicht, ein Stein links und ein kleiner Felsvorsprung rechts, und er musste mit ungemütlich gespreizten Beinen dastehen, um sich darauf abzustützen. Doch es entlastete wenigstens seine Arme. Keine Haltung, in der er den Rest

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