Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
dreckverkrusteten Impalas aus dem Park hinaus folgt. Zwanzig Minuten später rangeln O’Hara und Krekorian mit Lowry und Grimes sowie zwei weiteren Beamten von der Mordkommission im Büro des Gerichtsmediziners um die besten Stehplätze. Auf einer stählernen Bahre vor ihnen liegt Pena, noch immer auf der Seite, gefesselt und in Plastik gehüllt, wie seit dem frühen Thanksgivingmorgen. O’Hara sieht jetzt, dass auch der Rücken des Opfers mit Kerben übersät ist.
Sam Lebowitz, ein 32-jähriger, langer und dünner Gerichtsmediziner, erläutert die vielfältigen Wunden an Penas Körper. Während er, gefolgt von einem forensischen Fotografen, um die Bahre herumgeht, macht er sich auf einem länglichen gelben Block Notizen und trägt diese den Beamten laut vor.
»Platzwunden und Spuren von Gewalteinwirkung auf Schädeldecke und Hinterkopf«, sagt er, deutet mit seinem Stift darauf und zieht sich dann wieder aus dem Fokus des Fotografen zurück. »Der Schädelknochen scheint nicht gebrochen zu sein.« Um einen Kollegen nicht zu stören, der nicht weit entfernt, alleine und ohne Besucher, eine Autopsie an einer schwarzen Frau mittleren Alters durchführt, macht Lebowitz seine Bemerkungen in leisem Plauderton.
»Es gibt massive Hinweise darauf, dass gefoltert wurde … die Haut des Opfers wurde wiederholt und systematisch eingeschnitten, eingekerbt und verbrannt, sowohl vorne wie hinten, von den Füßen bis zur Schulter … stumpfe Verletzungen an Vagina, Anus und Innenschenkeln deuten daraufhin, dass das Opfer vergewaltigt wurde … beziehungsweise mehrfach vergewaltigt wurde.«
Nachdem Pena von beiden Seiten in dem Zustand fotografiert wurde, in dem man sie gefunden hat, schneidet Lebowitz den blutigen Duschvorhang unter Zuhilfenahme einer langen Chirurgieschere auf. Als er auch das silberfarbene Paketband von ihren Lippen zieht und das Höschen entfernt, das ihr in den Mund gestopft wurde, sieht O’Hara die Lücke zwischen Penas Schneidezähnen, auf die McLain an jenem ersten Abend auf dem Revier noch unbedingt hatte hinweisen wollen. Endlich löst Lebowitz auch die Plastikfesseln, die Penas Handgelenke und Fußknöchel umschlingen. Wird auch Zeit, denkt O’Hara. Doch die Totenstarre hält den Körper in seiner unnatürlichen Haltung und das Lösen der Fesseln trägt nicht zu Penas Befreiung bei.
»Die Duschvorhänge sind von preisgünstiger gewöhnlicher Machart und funkelnagelneu«, sagt Lebowitz. »Ich setze keine große Hoffnung darauf.« Er schiebt die vier Teile des Duschvorhangs ebenso wie die Fesseln, das Klebeband und das Höschen in große Asservatentüten aus Plastik. Dann wendet er sich abermals Pena zu, um ein zweites Mal ungehindert seine Runde zu drehen.
»Die genauere Betrachtung des Kopfes ergibt, dass die Verletzungen durch einen einzigen Schlag mit einem kleinen harten und runden Gegenstand verursacht wurden und bestätigt die Annahme, dass keine Schädelfraktur vorliegt. Sofern der Angreifer die Absicht hatte, sein Opfer zu foltern, mag der Schlag absichtlich nicht allzu heftig ausgeführt worden sein … zirka sechzig Fleischwunden, die sich in Größe, Form und Tiefe sehr stark unterscheiden, bedecken Vorder- und Rückseite des Körpers und wurden mit einem groben Zackenmesser beigebracht … Außerdem wurde der Körper wiederholt mit einem Feuerzeug verbrannt und mit einem zweiten Messer eingeschnitten, wobei die Anzahl der Brand- und der reinen Schnittwunden deutlich geringer ist als die Zahl der Einkerbungen … alleine die Kerben dürften mehrere Stunden in Anspruch genommen und zu einem erheblichen Blutverlust geführt haben, der jedoch nicht unbedingt tödlich gewesen sein muss. Obwohl das Opfer unglaublicher Gewalteinwirkung unterzogen wurde, lässt sich keine eindeutige Todesursache erkennen … die Farbe der Leichenflecken und Prellungen deutet darauf hin, dass das Opfer nicht verblutet ist … es ist vielmehr davon auszugehen, dass so lange gefoltert wurde, bis das Herz versagte.«
O’Hara gefällt der Anflug eines New Yorker Akzents in Lebowitz’ schüchterner Stimme. Sie schätzt die Art, wie bei ihm Körper und Geist in Einklang stehen – seine vorsichtigen, zurückhaltenden Bemerkungen und die dazugehörigen präzisen Bewegungen seiner langen Finger und schlanken Hände. Anders als der Gerichtsmediziner bei der einzigen anderen Autopsie, der O’Hara je beiwohnen musste, hält er dies nicht für einen Theaterauftritt. Lebowitz spielt sich nicht selbst und glaubt nicht,
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