Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
verschwand wieder im Wagen.
Vor mir sah ich rote Turnschuhe im Laufschritt über den Asphalt stürmen. Ich kroch unter dem Auto hervor und schlängelte mich durch den blockierten Verkehr. Der Bürgersteig hatte sich geleert, nachdem die Schüsse gefallen waren. Ein Dankeschön an die verängstigten Fußgänger, die mir den Weg freimachten. Doch ich musste zuerst einigen Autos ausweichen, und Jack war ausgeruht und unverletzt und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, den Bürgersteig entlang.
Er bog ab und verschwand hinter einer Straßenecke.
Ich jagte hinter ihm her. Er blickte sich um: Ich sah die Angst in seinem Gesicht. Mein Brustkorb schmerzte, wo August mich getroffen und ich mich auch noch gegen den Bus geworfen hatte.
In der Ferne sah ich einen Straßenmarkt, wo alles Mögliche angeboten wurde: von Prepaid-Handys über billige Handtaschen und Damenunterwäsche bis zu DVD -Playern. Die Leute drängten sich zwischen den Ständen, alte Menschen, Kinder, Babys in Karren.
Ich konnte keinen Schuss riskieren. Nicht hier. Zu viele Leute.
Jack lief zickzack zwischen den Tischen und Ständen hindurch. Laute chinesische Popmusik und Reggae-Rhythmen behaupteten sich gegen den Verkehrslärm. Ich blickte kurz zurück und sah Leonie ein paar Blocks hinter mir. Zum Glück hatte sie die Pistole wieder eingesteckt. Von August und seinen Männern war nichts zu sehen. Doch sie würden bald hier sein oder Verstärkung rufen.
Ich folgte Jack Ming über den Marktplatz. Er schaute sich alle paar Sekunden nach mir um. Wir hatten uns bereits mehrere Blocks vom Ort des Schusswechsels entfernt. Hier waren die Leute ruhig, und er wollte keine Panik auslösen und rief nicht um Hilfe. Er war nur darauf bedacht, zwischen all den Menschen unterzutauchen.
Die Angst in seinen Augen machte mir zu schaffen. Ich wollte ihn nicht umbringen.
50
August öffnete die Augen. Sein Gesicht schmerzte. Und nicht nur sein Gesicht. Er blutete am Hinterkopf. Mühsam rappelte er sich hoch.
Die Metalltür ging quietschend auf, er hörte Schritte über den Betonboden. Er griff nach seiner Waffe. Weg. Sein Kopf fühlte sich benommen an, wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.
Eine Frau. Zierlich, das rote Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, in Jeans und T-Shirt. Sie sah ihn an und richtete eine Pistole auf ihn.
» Sie bleiben hier«, sagte sie. » Nicht bewegen.«
August rührte sich nicht von der Stelle.
Ihr Blick sprang hin und her. Sie rannte zu Jack Mings Rucksack und hob ihn fast vorsichtig auf. Durch den offenen Reißverschluss sah er einen Laptop im Rucksack stecken. Sie schwang ihn sich über die Schulter, die Pistole immer noch auf August gerichtet.
» Nicht weggehen«, befahl sie.
» Wer sind Sie?«, fragte er.
Sie gab natürlich keine Antwort, sah ihn unverwandt an und umklammerte die Waffe noch etwas fester.
Dann eilte sie hinaus auf die Gasse.
August wankte zur Tür. Wer zum Teufel war die Frau? Arbeitete sie mit Ming zusammen oder mit Sam?
Als er hinaustrat, schoss sie auf ihn. Nicht gezielt, doch auch eine ungezielte Kugel lässt einen schnell in Deckung gehen.
» Ich hab gesagt, Sie sollen drinnenbleiben!«, schrie sie.
Einer seiner Assistenten, Griffith, lag stöhnend am Boden und fasste sich an die Rippen. Der Lincoln war weg. August zählte bis zwanzig und wagte sich erneut hinaus. Die Rothaarige war verschwunden.
» Two, hier One«, rief er seinen Partner, » wie ist die Lage?«
» Ich bring den Informanten in Sicherheit. Ein Bewaffneter folgt uns, er kennt deinen Namen, hat gesagt, du bist angeschossen…«
Und dann Chaos. Das ferne Krachen von Metall auf Metall, von Schüssen gegen kugelsicheres Glas. Er hörte Grimes fluchen und jemandem zurufen, in Deckung zu gehen, und Jack Mings Antwort: Ich hau ab.
» Der Feind versucht den Jungen zu töten«, meldete Grimes, gefolgt von weiteren Schüssen. Grimes schrie auf und fluchte erneut. August lief los. » Wo bist du?«
Der Feind. Sam Capra. Sein bester Freund– der doch selbst größtes Interesse daran haben sollte, dass ein Insider gegen Novem Soles vorging– wollte den Mann töten, der ihnen die Chance bot, die Geheimnisse des kriminellen Netzwerks zu entschleiern.
August rannte.
51
Ich rannte.
Jack Ming wich einem Stand mit DVD s aus Bollywood und Hongkong aus und sprang über die Tische vor ihm. Ein älterer Verkäufer schrie ihn wütend an und ließ einen Schwall von Flüchen in Englisch und Mandarin los. Ming stolperte, und sein T-Shirt rutschte
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