Die letzte Minute: Thriller (German Edition)

Also, was soll ich jetzt tun? Soll ich ihn suchen oder Jack Ming? Wir müssen uns entscheiden.«
    » Ich seh das einfach von der praktischen Seite. Ich denke so wie die Schurken.« Er lächelte und tippte sich an die Schläfe, und August dachte: Dir geht’s nicht um neue Ideen, sondern um dein Ego. » Die nutzen Sams emotionale Verwundbarkeit aus, was seinen Sohn betrifft. Wir dürfen nicht in die gleiche Falle tappen. Ich schwöre Ihnen, wir schnappen Capra lebend, wenn es irgendwie möglich ist. Und dann setzen wir Himmel und Hölle in Bewegung, um seinen Sohn zurückzuholen.«
    Also war die Sache entschieden: Braun fand es wichtiger, Sam zu fangen als Jack Ming– weil Sam nicht nach der Pfeife der Company tanzte.
    » Aber falls wir’s doch nicht tun, falls wir Sam damit alleinlassen«, sagte August, » dann erfährt die ganze Company von mir, dass wir nichts getan haben, um das entführte Kind eines Kollegen zurückzuholen.«
    » Sam Capra ist kein Kollege von uns.«
    » Er war es aber. Haben Sie mir nicht eben gerade erklärt, wir sind alle eine Familie, Ricardo? Oder gilt das nur, wenn Sie es sagen?«
    » Sie werden über die Arbeit von Special Projects nichts ausplaudern«, betonte Braun mit eisiger Stimme.
    » Doch. Wie sollen sich unsere Leute hundertprozentig für die Company einsetzen, wenn sie erfahren, dass wir nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Capras Baby zurückzuholen, wie Sie das so schön ausgedrückt haben? Wenn dieses Kind entführt wird und wir tun nichts dagegen, dann sind die Familien von uns allen nicht mehr in Sicherheit, Braun. Ich lehne diese bescheuerte Einstellung ab. Wir hätten uns schon vor Monaten um die Sache kümmern sollen. Wir hätten das Kind finden und retten müssen. Sie reden von Pflicht. Was ist mit unserer Pflicht gegenüber Sam?«
    » Ich gebe Ihnen einen guten Rat, August: Achten Sie auf Ihre eigenen Worte. Sie haben heute Mist gebaut, viel Kredit haben Sie nicht mehr bei mir. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Pflichten.«
    » Pflicht. Neue Ideen. Das müssen mehr als Schlagworte sein.« August vermochte seinen Ärger nicht länger zu verbergen. » Wir haben alles, was mit den Capras passiert ist, für uns behalten. Was Lucy getan hat, was wir Sam angetan haben. Wir haben unsere Leute überall auf der Welt, und keiner ist den Hinweisen nachgegangen, die wir ihnen über Daniel Capra hätten geben können: weil sie nichts davon wissen. Wir haben Sam im Stich gelassen, und darum sind wir mitverantwortlich für diese Situation. Wenn das rauskommt, wird es Untersuchungen geben, sie werden uns die Mittel kürzen, Leute werden zurücktreten müssen.«
    » Die Capras waren ein Sonderfall, der eine besondere Vorgehensweise verlangt hat. Und Lucy Capra war eine Verräterin.« Das letzte Wort spuckte Braun verächtlich heraus. » Niemand hier wird sich mit den Capras identifizieren, sie gehören nicht mehr zu uns.« Mit stählerner Stimme fügte er hinzu: » Ich bin aus dem Ruhestand zurückgekommen, nachdem ich länger gedient hatte, als Sie es je tun werden. Von Ihnen muss ich mir sicher nicht sagen lassen, dass Pflicht nur ein Schlagwort für mich ist.«
    » Tut mir leid«, sagte August. » Aber da gibt es einen Widerspruch zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie vorhaben.«
    » August, ich glaube, Sie stecken emotional zu tief in der Sache drin. Sie waren sein Freund. Sie haben ab sofort nichts mehr mit dem Fall zu tun. Ich werde nicht länger den Kopf hinhalten für einen undankbaren Kerl, der seine Aufgaben nicht erfüllt.«
    » Heißt das, ich bin gefeuert?«
    » Natürlich nicht. Aber Sie geben Ihre Ausrüstung ab, Ihre Schlüssel, und die Zugangscodes. Nehmen Sie sich eine Woche frei, und denken Sie darüber nach, was Sie tun wollen. Draußen im Feld arbeiten Sie jedenfalls nicht mehr. Gehen Sie nach Langley, und fragen Sie, ob Sie dort weitermachen dürfen. Sie eignen sich sicher gut für den Papierkram. Da können Sie Ihre Energie in lange E-Mails investieren«, fügte Braun verächtlich hinzu.
    » Ich werde eine lange E-Mail schreiben. Hauptsächlich über Sie.« August legte sein Handy, die Pistole und die Schlüsselkarten auf den Schreibtisch, stand auf und ging.
    Braun sah ihm nach und atmete frustriert aus. Die Sache wurde immer schlimmer. Schwierige Momente erforderten außergewöhnliche Maßnahmen. August hatte keine Ahnung, wie nah dran er war, sich eine Kugel einzufangen. Zweifellos würde er die Schwestern identifizieren, bei der Rothaarigen