Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
mehr belastet worden. Ihr E-Mail-Account war ebenso verwaist wie ihre Mitgliedschaft bei sozialen Netzwerken. Das Design-Studium an der NYU hatte sie abgebrochen. Eine Kunststudentin als CIA -Informantin, das gab es auch nicht alle Tage. Vielleicht verfügte sie über künstlerische Fähigkeiten, mit denen sich gut verdienen ließ. Jedenfalls hatte sie in den vergangenen zwei Jahren keine Steuern gezahlt und kein Einkommen angegeben. Sie war von einem Tag auf den anderen verschwunden, doch niemand schien sie zu vermissen. Es sah nach einer bewussten Entscheidung aus, alles hinter sich zu lassen und ganz neu anzufangen.
Hatte die CIA sie gesucht, nachdem sie von der Bildfläche verschwunden war? Einfach um über sie auf dem Laufenden zu bleiben?
August klappte sein Handy auf, um ein paar Anrufe zu tätigen. Er folgte Lindsay Partridge bis zu ihrem Verschwinden. Sie hatte ihrer Vermieterin die Miete für den Rest des Jahres im Voraus bezahlt und gesagt, sie müsse für eine Weile nach Miami, doch sie kehrte nie zurück. Zwei Monate später erhielt die Vermieterin einen Brief, in dem das Mietverhältnis gekündigt wurde. Die New York University faxte ihm Lindsays Zeugnisse, und er rief ihren damaligen Tutor an. Sie hatte der Universität mitgeteilt, dass sie aufgrund eines Notfalls in der Familie nach Miami zurückkehren müsse.
Und da saß er nun vor ihrer verschlüsselten Akte.
Lindsay schien ebenso wie Sam ein schmutziges Geheimnis der Company darzustellen, mit dem sich keiner mehr beschäftigen wollte.
August gab die spärlichen Informationen ein, die er über die toten Frauen besaß, vor allem die Fotos ihrer Gesichter vom Tatort. Mit Hilfe der Gesichtserkennungssoftware fand er heraus, dass es zu einer der beiden einen New Yorker Führerschein auf den Namen Amy Bolton und eine Adresse in Brooklyn gab.
Er checkte die Datenbanken: Amy Bolton besaß eine Kreditkarte und hatte eine Hypothek aufgenommen. Sie war in einer Firma namens Associated Languages School tätig gewesen. August ging auf die Website der Firma. Sehr schlicht, und jene Seiten, auf denen man Details hätte finden sollen, waren gerade » in Arbeit«. Die Sprachschule bot Kurse für eine breite Palette von Sprachen sowie entsprechende Übersetzungsdienste an. Es gab jedoch keine Fotos der Mitarbeiter, keine näheren Beschreibungen der Kurse und Programme. Auch keine Angaben über künftige Veranstaltungen.
Das Geschäft lief wohl nicht besonders gut.
August tippte sich an die Lippe und googelte schließlich nach Sprachschulen in Brooklyn. Er erhielt mehrere Einträge, doch eine Associated Languages School war nicht darunter.
Merkwürdig, dachte er. Eine moderne Sprachschule muss doch im Internet aufscheinen, wenn sie Erfolg haben will. Doch diese hier suchte man vergeblich. Fast so, als wollte sie sich verstecken.
Er ließ sich die Adresse der Schule auf Google Streetview anzeigen. Das Gebäude wurde gerade saniert, um darin Wohnungen zu errichten.
So viel zur Associated Languages School. Eine Scheinfirma.
Der Computer suchte in der digitalen Verbrecherkartei weiter nach den Gesichtern der beiden Frauen.
August holte sich eine Limonade aus dem Kühlschrank und kehrte in sein Büro zurück. Dort aktivierte er die Kamera.
Lucy Capra lag in ihrem Bett, von den Schläuchen umgeben, über die sie am Leben erhalten wurde. Sie lag auf der Seite; die Schwestern hatten sie wohl gedreht, was sie regelmäßig taten. Er sah die hässliche Narbe an ihrem Schädel, wo die Kugel ihre Splitter hinterlassen und sie in dieses Niemandsland zwischen Leben und Tod versetzt hatte. Ihre Seele und ihr Geist waren von ihrem dahinvegetierenden Körper abgetrennt worden. Über die fix installierte Kamera schaute er einmal täglich nach ihr, manchmal auch öfter. Warum, das wusste er selbst nicht genau. Er hatte Sam nie davon erzählt.
Es war nicht so, dass er Lucy liebte. Eine Zeitlang war er nah dran gewesen, doch dann hatte sie Sam kennengelernt und geheiratet, und er hatte seine Gefühle beiseitegeschoben, so wie man ein Geschenk, für das man keine Verwendung hat, auf ein Regal stellt.
Heute dachte er manchmal: Gott sei Dank hat sie sich nicht für mich entschieden. Sein Leben wäre ganz anders verlaufen. Vielleicht wäre er jetzt in der verzweifelten Situation, in der Sam steckte.
Es blieb ihm rätselhaft, warum sie das getan hatte, warum sie alle verraten und belogen hatte. Sam hatte ihm erzählt, dass es ihr um Geld gegangen sei. Geld. August konnte es
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