Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
im Haushalt ist. Ich verschließe ihm wieder den Mund, lasse die Nase frei. Ich renne hinauf, finde einen Aktenschrank, einen alten Schreibtisch mit Ringen von Bierflaschen. Und einen Laptop. Ich klappe ihn auf. Er erwacht aus dem Ruhezustand; Boris hatte offenbar im Internet gesurft, bevor er zum Bahnhof gefahren war.
Ich öffne einen Ordner namens » WARE «. Jedes Mädchen hat eine eigene Datei. Oben am Fenster steht, dass es tausendsechsunddreißig Dateien gibt.
Eine erschütternde Zahl. Ich suche nach Nelly. Verkauft, für eine Lieferung Heroin und $ 6000, an Yaakov Zviman in Tel Aviv. Die Datei vermerkt noch, dass sie in einem Motelzimmer in Eilat versteigert wurde, es gab fünf Interessenten.
Ich könnte kotzen bei dem Gedanken.
Ich präge mir die Adresse ein. Doch ich brenne den ganzen Ordner auf eine CD und stecke sie in die Jackentasche. In der Schreibtischschublade finde ich Geldbündel: Euro, amerikanische Dollar, rumänische Leu, türkische Lira und israelische Schekel. Ich nehme das Geld an mich.
Schließlich klappe ich den Laptop zu und gehe nach unten.
Ich höre, wie die Haustür geöffnet wird und eine Frau ruft: » Boris, hast du den Huren zu essen gegeben?«, dann: » Was zum Teufel!«
Ich laufe die restlichen Stufen hinunter, und in der Küche steht eine Frau vor dem sich windenden Boris.
Und diese Frau zieht eine Pistole aus ihrer Jacke.
Mein Kopf ist praktisch leergefegt: Ich denke gar nicht daran, dass ich den Taser habe, sondern stürze mich einfach auf die großgewachsene Frau. So wie Iwan es mich gelehrt hat. Ich brauche einen Sandsack, an dem ich meine Wut abreagieren kann. Mit der Faust treffe ich sie am Kiefer. Meine Hand schmerzt, doch die Wucht meines Angriffs wirft die Frau gegen den Kühlschrank.
Ich schlage ein zweites Mal zu, diesmal in die Magengrube. Die Frau weicht keuchend aus, versucht, sich Platz zu verschaffen, um sich zu wehren.
Ich mache einen Schritt zurück und versetze ihr einen harten Tritt, doch ich treffe nicht die Kehle, wie ich es vorhabe, sondern die Brust. Ihr bleibt die Luft weg, und die Pistole fällt klappernd zu Boden.
Die beiden gefangenen Mädchen wanken aus der Küche, die eine zieht die andere mit sich, sie steigen über den gefesselten Boris, der verzweifelt versucht sich aufzurappeln.
Ich schleudere die Frau quer durch die Küche. Sie kracht gegen die Arbeitsplatte. Die Reste des Frühstücks liegen bei der Spüle: Brot, eine Kaffeetasse. Die große Frau wirft die Tasse nach mir, trifft mich an der Schläfe, der kalte, bittere Kaffee spritzt mir in die Augen. Ich blinzle, sehe das scharfe Brotmesser auf mich zukommen.
Die Messerspitze trifft mich schmerzhaft an der Hand, ich schreie auf, und die Frau greift erneut an und verfehlt meinen Hals nur um wenige Zentimeter. Ich spüre den Luftzug des Messers. Bevor sie erneut zustechen kann, greife ich mir die Bratpfanne, in der noch die Überreste des Spiegeleis kleben, und knalle sie ihr wie einen Tennisschläger ins Gesicht.
Sie heult auf. Blut spritzt ihr aus dem Mund.
Ich hämmere ihr die Pfanne gegen die Hand, und das Messer fällt zu Boden. Es springt über die Fliesen, schimmert im Licht.
Ich dresche weiter mit der Bratpfanne auf die Frau ein, bis sie blutend liegen bleibt.
Die zwei Mädchen sind weg. Ich stehe in der Haustür und halte Ausschau, mit der Hand über den Augen, um sie gegen die Sonne abzuschirmen, wie eine Mama, die die Straße nach ihren Kindern absucht.
Vielleicht besser so, denke ich.
Ich habe, was ich brauche: die CD , die Adresse, unter der ich Nelly finde.
Jetzt erst merke ich, dass ich verletzt bin, die Fingerknöchel sind zerschnitten, ein weiterer Schnitt am Bauch. Das Brennen wird mir erst bewusst, als ich die Wunden sehe.
Ich drehe mich um: Boris hat sich tatsächlich aufgerappelt und hüpft auf beiden Beinen weg. Ich nehme die Pfanne und schlage ihn wieder nieder. Dann knalle ich ihm den Rand der Pfanne zwischen die Beine.
» Tu mori«, sage ich zu ihm, doch ich glaube, er hört mich gar nicht mehr.
Ich drehe den Gasherd voll auf. In einer Schublade finde ich Alufolie, stecke eine Handvoll in die Mikrowelle und schalte sie ein. Als ich aus dem Haus renne, klingen Boris’ erstickte Schreie wie ein Flehen um Gnade. Cleverer Junge.
Ich bin noch in derselben Straße, als das Haus explodiert und das Dach abhebt wie die Flügel eines schweren Vogels.
Ich höre, wie Trümmer im Garten landen.
Ich schaue nicht zurück. Sam, du darfst auch nicht
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