Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
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Rotlichtviertel, Tel Aviv, Israel
Knapp vierundzwanzig Stunden sind vergangen, seit ich Bukarest verlassen habe. Meine Hand braucht dringend einen frischen Verband, und die Schmerzen von den Schnittwunden flackern wie eine brennende Fackel meinen Arm hoch. Den Taser und die Pistole musste ich zurücklassen, ich hätte sie nicht durch den rumänischen und israelischen Zoll gebracht, ohne zusätzliche Formulare auszufüllen und Aufmerksamkeit zu erregen, und ich will nicht, dass die israelischen Behörden irgendwelche Informationen über mich haben außer dem Datum von Ein- und Ausreise.
Ich sitze in der Pizzeria. Von meinem Fenster aus sehe ich die Männer an der offenen Tür des Restaurants vorbeigehen. Ich trage eine dunkle Jeans, eine schwarze Bluse, eine dunkle Brille. Ich bestelle immer wieder Fruchtsaft oder etwas zu essen, damit das Personal nicht sauer wird, dass ich den Tisch so lange besetze. Mit meinem Notizbuch halten sie mich wahrscheinlich für eine Schriftstellerin bei der Arbeit. Ich trinke keine Cola, ich kann jetzt kein Koffein gebrauchen, so angespannt wie ich bin. Obwohl ich mich gleichzeitig erschöpft und ausgelaugt fühle. Ich esse ein Stück vegetarische Pizza, ohne großen Appetit.
Das Bordell befindet sich über der Pizzeria. Auf den Bürgersteig an der Rehov Fin– oder, wie sie hier genannt wird, Rehov Pin, für » Penis«– sind rote Pfeile aufgemalt, die zu den Peepshows und den Bordellen führen. Die Fenster im ersten Stock hat man vergittert. Auf Schildern sind schattenhafte Frauen dargestellt, die sich in Ekstase winden, andere sind gefesselt oder locken mit gekrümmtem Finger Männer an. Club Joy. Sexxxy’s Studio. Club Viagra. Nein, Sam, das hab ich nicht erfunden.
Ich sehe die Männer kommen und gehen. Sie sind unterschiedlichster Herkunft: Juden, Araber und Christen. Manche sehen aus wie Geschäftsleute oder Angestellte, andere wie Arbeiter aus dem Ausland. Auch Soldaten in Uniform sind dabei. Vielleicht gibt es für sie einen Rabatt. Die orthodoxen Juden stecken ihre Kippa ein, bevor sie eintreten, und setzen sie wieder auf, wenn sie wieder ins Sonnenlicht treten. Manchmal kommen sie auch zu zweit oder zu dritt, junge Männer, wahrscheinlich Amerikaner.
Was würden ihre Eltern davon halten, denke ich mir.
Ich würde am liebsten hineinstürmen. Doch wenn mein Plan funktionieren soll, muss ich wissen, wie sich das Geschäft über den Tag verteilt, wann die wenigsten Freier da sind. Das Warten fällt mir schwer, wenn ich mir vorstelle, dass Nelly da drin ist.
Ich weiß, was mich erwartet, falls sie mich erwischen. Sie würden mich töten oder zu brechen versuchen, so wie die Mädchen in Bukarest. Wie Nelly.
Also zwinge ich mich, das Geschehen zu beobachten und eine Gesetzmäßigkeit im Kommen und Gehen der Arschlöcher festzustellen, um dann reinzugehen, wenn am wenigsten los ist. Ich sehe einen älteren Mann heraustreten und später mit einer Tüte voller Lebensmittel zurückkehren. Ein Mitarbeiter. Wahrscheinlich sind zu jeder Zeit mindestens zwei Angestellte da. Einer zum Kassieren und um die Besuche zu koordinieren. Der andere als Sicherheitsmann, um dafür zu sorgen, dass kein Mädchen abhaut und dass die Freier sich benehmen.
Und vielleicht ist Mr. Irokese, Zviman, auch hier. Ihn will ich unbedingt treffen.
Ich habe registriert, dass der Zustrom der Bordellbesucher gegen Abend vor der Essenszeit stark nachlässt. Gut. Ich suche ein Hotel auf, nicht das, in dem ich mein Zimmer habe, um mir zu holen, was ich brauche.
Jeder Hotelwächter in Israel ist bewaffnet. Das weiß ich von Iwan; er hat es in einem Artikel über einen vereitelten Anschlag eines Palästinensers gelesen, bei dem der Sicherheitsmann den Selbstmordattentäter erschossen hatte. Ich gehe auf einen Wächter in einem Marriott Hotel zu, einen russischen Reiseführer und Stadtplan in der Hand, einen verwirrten Ausdruck im Gesicht. Touristin aus Moskau, denkt der Mann wahrscheinlich.
Ich lasse den Stadtplan fallen und sprühe dem Wächter das Pfefferspray ins Gesicht, das ich mir besorgt habe. Tut mir leid, zische ich ihm zu. Als er zurücktaumelt und seine Hand zur Pistole geht, reiße ich sie ihm aus dem Holster.
Ich renne aus dem Hotel, durch ein Einkaufszentrum, springe in ein Taxi. Die Pistole fühlt sich kühl an meinem Bauch an, unter der Bluse.
Ich überlege, was ich zur Schlacht anziehen soll. Ich muss mit der Möglichkeit rechnen, nicht lebend hier wegzukommen, also leiste
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