Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Zusammenhalt, wahrte dabei aber eine gewisse Distanz. Die Nähe bestand nur online, im wirklichen Leben traf man sich kaum. Auch Ricki war so ein Mensch, dessen soziales Leben sich hauptsächlich vor dem Computerbildschirm abspielte.
Sie traf mit einer halben Stunde Verspätung im Café ein, drückte ihm ein Bündel Geldscheine in die eine Hand und einen Sack mit billigen Kleidern in die andere. » Du schuldest mir was«, sagte sie.
» Wo hast du die Klamotten her? Es hat doch kein Geschäft offen.«
Sie zuckte die Achseln. » Ein Exfreund, den ich vor dir hatte, hat sie vergessen, aber ich glaube, sie passen. Du bist ungefähr so groß wie er.«
Er versuchte den Anflug von Eifersucht zu verdrängen. » Ich werde dir noch mehr schulden, ich brauch nämlich einen Platz zum Schlafen. Zumindest für heute Nacht.«
» Bitte.« Ricki verdrehte die Augen. » Hast du dich entschieden zu reden?«
» Nur eine Nacht.« Er warf einen Blick in die Plastiktüte; die Kleider waren viel bunter und modischer, als er sie ausgesucht hätte.
» In was bist du da hineingeraten?«
» Nichts Dramatisches, ich brauch nur einen Platz, wo ich hinkann.«
» Weiß die Polizei, dass du aus dem Krankenhaus abgehauen bist?«
Information war auch eine Währung, in der man bezahlen konnte. » Hör zu, ich schreib dir einen maßgeschneiderten Trojaner, der dir Informationen von infizierten Computern schickt. Damit kann man eine Menge Geld machen.«
Ricki fuhr sich mit der Zunge in den Mundwinkel. Bitte, sei gierig, dachte Jack. Bitte.
» Du brauchst mich nicht zu bestechen, damit ich dir helfe, Jack.« Sie wirkte beleidigt. » Ich bin ein großes Risiko eingegangen, um dich zu finden.«
» Oh«, sagte er. » Nein … so hab ich’s nicht gemeint. Ich wollte es dir einfach schenken. Dafür, dass du mir hilfst.«
Sie seufzte. » So schlau, und doch so ahnungslos. Zahl meinen Kaffee mit dem Geld, das ich dir gegeben hab, dann gehen wir zu mir nach Hause. Ich bin nur froh, dass du okay bist.«
» Wirklich?«
» Nein, Dummerchen, ich wünsch mir oft, du wärst tot. Also wirklich, dumm wie Brot.« Ricki lächelte. Ein kurzes Aufflackern nur, doch er hätte weinen können vor Glück, ein freundliches Gesicht zu sehen.
Er zog sich auf der winzigen Toilette des Cafés um und kaufte ihr einen Kaffee zum Mitnehmen. Er wollte so weit wie möglich weg vom Krankenhaus. Das Warten auf sie hatte ihn fast wahnsinnig gemacht.
Sein erster Gedanke beim Betreten ihrer Wohnung war: Hier kann sie unmöglich leben, es ist ja alles mit Krempel vollgestopft. Sie hatte ihn kein einziges Mal zu sich kommen lassen, als sie noch etwas miteinander hatten. Sie war in Amsterdam, er lebte in Delft, und es war immer sie gewesen, die ihn besuchte, nie umgekehrt. Auf Bücherregalen, die eine ganze Wand einnahmen, standen mindestens zwei Dutzend DVD -Brenner. Gegenüber waren fein säuberlich verpackte DVD s gestapelt, hauptsächlich von Filmen, die gerade im Kino liefen. Es mussten Hunderte sein.
» Das alles ist wahrscheinlich fünfzigtausend Dollar wert«, sagte sie.
» Wow. Und du verkaufst sie einfach auf der Straße?« Sie hatte selten über ihre » Arbeit« gesprochen.
» Früher schon. So bin ich aus dem Senegal hergekommen. Die Fälscher lassen dich zuerst auf der Straße verkaufen. Ich habe mehr DVD s verkauft als jeder andere und wurde befördert. Jetzt habe ich ein Team von Verkäufern.«
» Bist du noch nie erwischt worden?«
» Ich nicht«, lachte sie.
Die Maschinen surrten und produzierten unentwegt illegale Ware. Da und dort signalisierte ein Piepton, dass der Kopiervorgang abgeschlossen war, und sie zog die fertige DVD aus dem Gerät.
Sie warf ihm ein T-Shirt aus einem frisch geöffneten Karton herüber mit einer aufgedruckten Werbung für einen neuen Vampirfilm, der erst in drei Monaten erscheinen würde.
» Also. Jemand hat auf dich geschossen, dann hat dir die Polizei einen kleinen Urlaub spendiert«, sagte sie. Sie betrachtete die Narbe an seinem Hals. Er würde einen Schal brauchen, dachte Jack. Der Gedanke, dass er ein Vampir-T-Shirt trug, während die Wunde an seinem Hals verheilte, brachte ihn fast zum Lachen.
» Ja.«
» Dann bist du jetzt ein gefährlicher Junge, Jack.« Sie berührte die Haut unterhalb der Narbe. » Wer hat auf dich geschossen?«, fragte sie mit funkelnden Augen.
» Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, entschuldige das Klischee, aber in meinem Fall passt es wirklich.«
» Nic wurde erschossen«,
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