Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
einem Konto, da kann ich’s nicht verlieren.« Er wollte nicht einige zehntausend Euro mit sich herumtragen, die er als Hacker für Nics Netzwerk verdient hatte. Er wollte das Geld auf ein Konto verschieben, an das er jederzeit unter einem neuen Namen herankam. Ein Konto, das die Polizei nicht einfrieren würde, falls sie herausfanden, dass er nicht Jin Ming hieß. In den Augen der Behörden war er ein mutmaßlicher Mörder, daher war es wichtig, dass er so wenig wie möglich von sich preisgab.
» Okay, dieser Typ, den du anrufen musst: Er will nicht gefunden werden?«
» Er gehört zu der Organisation, die mich verstecken kann.«
» Eine Regierungsbehörde?«
» Ja.«
» Hier in den Niederlanden?«
» Nein, in Amerika.«
Ricki sah ihn mit großen Augen an. » Ich soll für dich ein amerikanisches Regierungsnetzwerk knacken? Hast du in einem Coffee Shop was geraucht, nachdem du aus dem Krankenhaus abgehauen bist?«
» Nein, das mach ich selbst. Aber falls ich’s nicht schaffe, hätt ich gern deinen Rat.«
Mit Schmeichelei kam man in der Welt der Hacker oft am weitesten. Schmeichelei und Respekt vor den Fähigkeiten des anderen. Sie lächelte erst, als sie die Tasse an die Lippen hob und dachte, er könne es nicht sehen. » Ich dachte, vielleicht hast du irgendein Programm, mit dem ich leichter reinkomme.«
» Schon möglich. Hast du Hunger?«
» Ja. Ziemlich.«
» Ich kann dir Nudeln machen, vielleicht ein Glas Wein dazu. Oder sollst du keinen Alkohol trinken, weil du noch Medikamente nimmst?«
» Ein Glas Wein wär toll. Ich nehm keine Medikamente.«
» Das wär mal eine Herausforderung«, meinte sie. » Sich von einer Online-Apotheke alles liefern zu lassen, was man braucht, ohne eine richtige Bestellung zu machen.« Sie lachte, und er stimmte mit ein. Die Tatsache, dass er soeben– Killer hin oder her– einen Menschen umgebracht hatte, rückte für einen Moment aus dem Zentrum seiner Gedanken. Er fühlte sich immer am wohlsten, wenn er an der Lösung eines Problems arbeitete.
» Mehr brauchst du nicht?«
» Nein«, sagte er, doch das stimmte natürlich nicht. Er wusste, wo Nic gewohnt hatte. Nach Nics Tod hatte die Polizei bestimmt seine Computer beschlagnahmt. Schließlich wussten sie, dass er als Hacker gearbeitet und mit Internet-Pornografie Geld verdient hatte. Die Frage war, ob die Polizei auch das Notizbuch gefunden hatte. Es würde in den Medien großes Aufsehen erregen, wenn es dank des Notizbuchs eines Toten gelang, einen internationalen Verbrecherring zu sprengen. Doch vielleicht würde die Polizei den Fund unter Verschluss halten, so wie seinen Namen und seinen Aufenthaltsort, während er sich im Krankenhaus erholte.
Ricki brachte ihm ein Glas Wein und setzte sich neben ihn. Ganz nah. Sie lächelte ihn warm an. Eine Schießerei zu überleben… war das irgendwie sexy? In Delft war er Mädchen meistens aus dem Weg gegangen, um seine Tarnung nicht zu gefährden. Mädchen wollten mehr über einen wissen, Geheimnisse erfahren. Doch Ricki hatte ihre eigenen Geheimnisse. Vielleicht würde sie ihm nicht allzu viele Fragen stellen.
Sie tranken ihren Wein, und bevor ihm überhaupt bewusst wurde, was er tat, nahm er ihr das Weinglas aus der Hand, stellte es auf den Tisch und küsste sie auf ihren warmen Mund. Sie erwiderte den Kuss. Er war lebendig. Er hatte ganz vergessen, wie gut sich das anfühlte. Und so tat er all das, was zu einem richtigen Leben gehörte: Er küsste sie, er lachte mit ihr, sie aßen, sie liebten sich. Danach lagen sie im Bett und sahen sich einen Film an, den Ricki vom Laptop eines Studios gestohlen hatte, einen Film, der erst in drei Wochen ins Kino kommen würde.
Als Ricki einschlief und der Film zu Ende war, begann Jack nachzudenken. Er musste herausfinden, wo Nics größtes Geheimnis versteckt war. Und dazu musste er gleich morgen früh in Nics Wohnung einbrechen.
8
Las Vegas
Die Landung war schlecht angesetzt.
Als ich mich abrollte, spürte ich einen Stich in der Schulter. Ich wartete einen Moment und schaute in den frühmorgendlichen Himmel über mir. In London hatte ich regelmäßig Parkour betrieben – eine extreme Laufsportart, bei der man über Mauern springt, Wände hochklettert und sich aus großer Höhe fallen lässt, und das möglichst ohne sich die Knochen zu brechen. Dabei konnte ich mich am besten von der Arbeit entspannen. Ich hatte verlassene Plätze erkundet, Mauern zu Straßen gemacht und stets den effizientesten Weg durch das Gelände
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