Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
dazwischen Fotos von seiner Mutter mit Präsidenten, Unternehmern, Diplomaten und anderen hohen Amts- und Würdenträgern. Kunst, die sie auf ihren Reisen im Dienst des Außenministeriums gesammelt hatte: Hongkong, Vietnam, Südkorea, Peru, Luxemburg. Es war, als hätte sie wie eine Elster überall auf der Welt schöne Dinge gesammelt, um ihr Nest damit zu schmücken. In einer Ecke hing ein Familienfoto, das ihn selbst zusammen mit seinem Vater zeigte. Ganz am Rande ihres Lebens, im äußersten Winkel.
» Magst du koffeinfreien Kaffee?«, fragte sie.
» Hast du auch richtigen? Ich bin ziemlich erledigt.«
» Ähm, nein. Zu viel Koffein macht mich unruhig.«
Typisch Mom. Das Einzige, was dich unruhig macht, ist Kaffee, dachte er verbittert. » Koffeinfreier ist schon okay.«
» Hast du Hunger?«
» Nein.« Er folgte ihr in die Küche und sah zu, wie sie mit der Kaffeemaschine hantierte. » Wie geht’s dir so, Mom?« Ich hätte nicht herkommen sollen. Der Drang, ihr alles zu erzählen, eine große Beichte abzulegen und sie um Hilfe zu bitten, war plötzlich überwältigend. Verabschiede dich von ihr und verschwinde, schau nicht zurück, nie mehr.
» Mir geht’s gut.«
» Machst du immer noch Unternehmensberatung?«
» Ja, gelegentlich. Ich möchte wieder ein Buch schreiben.«
» Das freut mich.«
» Jack, wo hast du dich versteckt?«
» In den Niederlanden.«
» Darauf hätte ich auch kommen können. Dorthin zieht es so viele junge Leute. Du bist wegen der Drogen hingegangen, nehme ich an.«
» Nein, Mom, ich hab weiterstudiert. Ich hab zwar auch einmal gekifft, aber ehrlich gesagt lese ich lieber ein Buch oder seh mir einen Film an.«
Sie blinzelte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. » Obwohl du auf der Flucht vor der Polizei bist, besuchst du die Uni.«
» Na ja, unter einem anderen Namen.«
» Wie bist du zu einer neuen Identität gekommen? Zeugnisse? Wovon hast du die Studiengebühren bezahlt?« Sie hob abrupt die Hand, wie um sich vor etwas Unangenehmem zu schützen. » Du brauchst es mir nicht zu sagen. Besser, ich weiß nicht, was du noch angestellt hast. Das kannst du alles dem Anwalt erzählen. Mein Gott, jetzt werden sie dich auch in den Niederlanden anklagen.«
Vielleicht sogar wegen Totschlags, dachte er. Aber das erwähnte er besser nicht.
» Ich würde gern Dads Grab sehen.«
» Es gibt kein Grab. Ich habe ihn einäschern lassen. Er ist im Arbeitszimmer.«
» Er ist hier?«
Sie drehte sich zur Kaffeemaschine um. » Natürlich. Ich werd die Asche doch nicht wegwerfen.«
» Verstreuen, meinst du.«
» Jedenfalls ist er hier.«
Jack ging ins Arbeitszimmer hinüber. Auf einem großen Bücherregal stand eine Urne neben einigen Bänden Kunstgeschichte. Sie sah hübsch aus. Er spürte heiße Tränen in sich aufsteigen, während sein Blick über den Schreibtisch und den Teppich wanderte. Der Schmerz war wie ein Brunnen, tief und dunkel, aus dem die schrecklichen Erinnerungen zwanghaft hervorkamen.
» Wie konntest du nur so leichtsinnig sein?«, rief sein Vater schockiert und beschämt. » Die Polizei wird dich festnehmen. Was du getan hast, ist ein Verbrechen!«
» Ich weiß.«
» Ein Verbrechen! Womit haben wir das verdient, deine Mutter und ich? Du hast dein Leben ruiniert! Und wofür? Um zu beweisen, dass du schlauer bist als alle anderen? In Wirklichkeit hast du nur bewiesen, dass du unglaublich dumm bist.«
» Ja. Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
» Was tut dir leid? Dass du’s getan hast oder dass sie dich erwischt haben?«
» Ich weiß nicht. Ich hab’s halt getan.«
» Du bist nicht unschuldig? Es ist kein Irrtum?«
» Nein, Sir. Ich hab das alles getan.«
» Warum? Warum? Hast du die gestohlenen Informationen verkauft?«
» Nein. Ich weiß nicht, warum ich’s getan hab.«
» Du erwartest doch nicht…«– sein Vater musste erst einmal Luft holen–, » du erwartest doch nicht, dass ich dir das glaube? Dass ein schlauer Bursche wie du nicht weiß, warum er etwas getan hat?«
» Ich hab’s einfach getan, es ist eben so.« Jacks Stimme brach. » Ich hab dich lieb, Dad, es tut mir leid. Ich hab dich lieb.«
» Warum hast du dann deine Zukunft einfach weggeschmissen?«
» Das ist alles, was dich interessiert, meine Zukunft?«
» Willst du vielleicht sagen, du hast es getan, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen, Jack? Das kann’s doch nicht sein, das wär so kindisch.«
» Ich weiß nicht, warum. Ich weiß es wirklich nicht.«
Der Kummer und die
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